Schweigen, reden, schweigen

Seit rund neun Monaten werden die Herweg Busbetriebe in Leverkusen bestreikt. Die Fahrer der Linienbusse fordern einen Haustarifvertrag und wollen durchhalten, bis sie ihr Ziel erreicht haben

Von Jürgen Schön

„Nichtstun ist schwer“, stöhnt Mehmet Kagli. Nichtstun, das ist Karten spielen, mit den Kollegen flachsen, Zeitung lesen. Denn eigentlich möchte der zweifache Vater bald wieder „seinen“ Linienbus fahren. Aber nur, wenn sein Arbeitgeber, die Leverkusener Herweg Busbetriebe (HBB), mit der Belegschaft endlich einen Haustarifvertrag abschließt. Dafür streiken er und seine 50 Kolleginnen und Kollegen nun schon rund neun Monate.

Wie lange der Streik noch dauern wird? „Bis wir im Guinness-Buch der Rekorde stehen“, ruft einer mit Galgenhumor. Doch darüber lacht keiner mehr. Das haben sie schon zu oft gehört. Täglich stehen sie in dem Zelt am Eingang zum HBB-Betriebsgelände Streikposten. In einer Ecke hat sich eine Gruppe türkischer Kollegen zum Kartenspiel zusammengesetzt. Wer gerade aussetzt, guckt den anderen über die Schulter. „Aber nichts verraten“, wird er ermahnt. Die anderen sitzen wie die Hühner auf den Bierbänken. Schweigen. Reden mit einander. Schweigen. Stehen auf, gehen ein paar Schritte. Rauchen. Greifen kurz zur BILD. Streikroutine. Ein Buch zu lesen, dazu fehlt die Konzentration, „man verödet“, stellt der streikende Busfahrer Georg Haas fest.

Neuer Job nicht in Sicht

Jetzt, wenn die Sonne scheint, lässt sich leichter streiken. Mit Schaudern denkt Ingrid Schmehl an den Winter zurück, an Kälte und Regen. „Da standen wir hier nur mit Regenschirmen.“ Bis die MLPD ein Zelt schenkte. Und dann wieder eins. Denn das erste wurde über Nacht zerschnitten. Von wem, weiß bis heute keiner.

Dass es ausgerechnet die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ war, die so ihre Solidarität bekundete, ist für Ver.di-Sekretär Peter Wittke kein Problem. „Wenn uns das die etablierten Parteien vorwerfen, sag ich: Ihr könnt uns ja auch unterstützen. Aber das hat bisher noch keiner getan.“ Lediglich Ernst Küchler, SPD-Kandidat für das Amt des Leverkusener Oberbürgermeisters, ließ sich an der Borsigstraße im Leverkusener Stadtteil Opladen blicken. Sonst ist das Interesse der Politiker gleich Null. „Von denen erhoffen wir uns nichts“, erklärt Wilhelm Seidel resigniert. „So“ hat sich der „Russlanddeutsche“ seine neue Heimat nicht vorgestellt.

Ein Ex-Kollege kommt fast täglich „zu Besuch“. Als der Streik begann, hatte er einen Zeitvertrag. Als er sich dem Streik anschloss, wurde der Vertrag nicht verlängert. „Aber ich konnte meine Kollegen doch nicht allein lassen“, meint er. „Pech gehabt.“ Ein neuer Job ist nicht in Sicht.

Die Streikenden kommen aus Deutschland, Nigeria, Polen, Albanien, Griechenland, Italien, der Türkei. Als Busfahrer sind sie Einzelkämpfer, sehen sich nur kurz zu Schichtbeginn und zu Schichtende. Im Streikzelt müssen sie eng zusammenrücken. „Jetzt erkennt man, auf wen man sich verlassen kann“, sagt Betriebsrat Helmut Burkhardt. Auch er streikt mit.

„Achterbahn der Gefühle“

Der Ordnungsdienst zumindest funktioniert: Das Zelt ist aufgeräumt. Schwierigkeiten gebe es nur, die Dauermahnwachen vor den Amtssitzen des Leverkusener Oberbürgermeisters und des Landrats zu besetzen. „Die beiden verhindern, dass es zu Verhandlungen kommt“, erklärt Burkhardt. Außerdem müssen zwei Mal in der Woche auf den umliegenden Märkten Flugblätter verteilt werden. „Aber das ist auch eine willkommene Abwechslung.“

„Es ist eine Achterbahn der Gefühle, bei der wir uns gegenseitig Mut machen“, beschreibt Busfahrer Georg Haas die Stimmungslage. Und wie lange werden sie nun streiken? Am Anfang, gesteht Petra Schwedhelm, habe sie schon überlegt, ob sich der Streik lohnt, ob sie nicht aufhören soll. „Aber jetzt ist es Ehrensache, weiterzumachen. Neun Monate dürfen nicht umsonst sein.“ Das findet auch Georg Haas. Aber er kommt sich ein bisschen wie eine Marionette vor: „Es geht doch nur noch darum, wer länger durchhält: Ver.di oder Politik und Wirtschaft.“

So einfach will das Ahmed Tüfekci nicht stehen lassen. „Es geht darum, ob wir weiter zu einem Niedriglohn beschäftigt werden und HBB leichter verkauft werden kann.“ Der 32-Jährige gibt sich klassenkämpferisch: „Wenn wir einbrechen, streikt in Deutschland keiner mehr.“