Wie viel Verunreinigung darf‘s sein?

Die EU-Kommission will bis zu 0,7 Prozent genveränderte Verunreinigung im Saatgut erlauben. Künast fordert dagegen auf dem Agrarrat null Toleranz: Nur so sei zu verhindern, dass sich unser Essen schleichend mit genveränderter Ware kontaminiert

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Wenn Renate Künast nach Brüssel kommt, gehört ein kleines Geschenk von Greenpeace inzwischen zum festen Ritual: Gestern Morgen bekam die deutsche Agrarministerin vor dem Ratsgebäude gentechnikfreie Maissamen in die Hand gedrückt – mit Zertifikat. Ein kleiner Wink der Umweltschützer, schließlich will die EU-Kommission Verunreinigungen im Saatgut bis zu einem Schwellenwert von 0,3 bis 0,7 Prozent – je nach Sorte – erlauben. Erst oberhalb dieser Grenze soll der Samen als genetisch verändert (GVO) gekennzeichnet werden.

Diesen Plänen erteilte Künast gestern eine Absage. Das Thema wird auch den Agrarrat beschäftigen, der noch bis heute tagt. Offiziell entscheiden wird zwar nicht der Agrarrat, sondern der Saatgutausschuss. In dem sitzen aber die nationalen Fachbeamten, welche den Agrarministern unterstehen. Um den Vorschlag der EU-Kommission abzulehnen, braucht es eine deutliche Mehrheit der Mitgliedsländer.

Das EU-Parlament prüfe bereits, erklärte Künast, ob der Saatgut-Ausschuss hierüber unter Ausschluss der Öffentlichkeit entscheiden könne. Schließlich seien Umweltbelange berührt, das Parlament müsse also gefragt werden. Deutschland weiß in dieser Frage andere EU-Länder wie Österreich an seiner Seite. „Um im Endprodukt den Schwellenwert von 0,9 Prozent einhalten zu können“, argumentiert Künast, „sollte er beim Saatgut bei der technischen Nachweisgrenze angesetzt werden.“

Experten glauben, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Schwellenwerte im Saatgut mittelfristig das Aus für traditionellen und Biolandbau in der EU bedeuten würden. Mitte des Monats hatte Jeremy Sweet vom Agrarinstitut in Cambridge bei einer Anhörung im Europaparlament vorgerechnet, dass Verunreinigungen im Rapssamen von 0,3 Prozent beim Endprodukt zu 0,8 bis 1 Prozent genveränderten Komponenten führen würden – damit müsste ein Bauer, der etwa solchen „GVO-freien“ Mais gekauft hatte, seine Ernte als Genmais verkaufen.

Regelungsbedarf sieht Künast auch bei der Haftungsfrage. Bislang erklärt sich die Kommission hier nicht für zuständig. Die deutsche Agrarministerin glaubt aber, dass der Wettbewerb verzerrt würde, falls jedes Land die GVO-Produzenten unterschiedlich stark mit den Folgekosten von Verunreinigungen belastet.

Künast will zudem Schutzzonen ausweisen, in denen der GVO-Anbau durch zusätzliche Auflagen praktisch unmöglich wird. Schließlich seien Genpflanzen besonders resistent gegen Schädlinge und damit durchsetzungsfähiger als traditionelles Saatgut. „Es muss solche Schutzzonen geben, damit wir überhaupt noch GVO-freies Saatgut herstellen können“, fordert die Ministerin.

Die Kommission hatte allerdings bereits Anfang des Monats einen entsprechenden Antrag Österreichs abgelehnt. Die Österreicher wollten ihr Anbauverbot für Gentech-Saat zumindest in Oberösterreich für weitere drei Jahre aufrechterhalten, da dort kleine Äcker mit unterschiedlichen Sorten die Landschaft prägen. Bei der Expertenanhörung im EU-Parlament wurde deutlich, dass in solch kleinflächigen Anbauflächen die Ernte nur dann rein bleibt, wenn keinerlei genveränderte Pflanzen angebaut werden.

Die Alternative zur gesetzlichen Schutzzone wären Selbstverpflichtungen der Landwirte: Bei der Anhörung im EU-Parlament berichtete Olivier Pageard aus Colmar, dass in seiner elsässischen Maisproduktionsgenossenschaft so ein Reinheitsgrad von fast 100 Prozent erreicht wird. „Wir sind meines Wissens in dieser Hinsicht die konsequenteste Region Frankreichs.“