Surfen in Brasiliens kostenlosem Internet

In 400 Computer-Zentren finden arme Einwohner einen Zugang zur modernen Welt. 4.000 Zentren bis 2006 geplant

PORTO ALEGRE taz ■ Die Ilha da Pintada, malerisch gegenüber dem Hafen von Porto Alegre gelegen, beherbergt ein Armenviertel der südbrasilianischen Millionenstadt. Schon längst kann der Fischfang die 5.000 InselbewohnerInnen nicht mehr ernähren. Eine Alternative soll das katholische Gemeindezentrum bieten: Dort befindet sich eines der 22 Computer-Zentren, die die Stadt Porto Alegre eingerichtet hat.

„Die Vorteile der Informations- und Kommunikationstechnologien verfügbar machen“ – so heißt ein Kapitel des UNO-Millenniumsziels „Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft. „Die wenigsten Kids hier haben zu Hause einen Computer“, sagt Maria Navegantes Alcântara, die 49-jährige Leiterin des telecentro, „und selbst wenn, dann ist das Internet für sie zu teuer.“ Also kommen Tiago (12) und Fabio (24) regelmäßig, um zu spielen, E-Mails zu verschicken oder zu chatten. Schüler recherchieren an den 12 Rechnern für ihre Referate. Andere Inselbewohner verschicken Bewerbungsschreiben oder besorgen sich Informationen für die Arbeit. Zum Funktionieren des telecentro trägt die Kirche mit dem Raum bei, Firmen mit ausgemusterten Geräten und die Stadt, indem sie den technischen Support garantiert und Beihilfen zahlt – an Maria Alcântara und drei junge Hilfskräfte, die Basisschulungen übernehmen. In ganz Brasilien gibt es derzeit etwa 400 öffentliche telecentros. Ende 2006 sollen es bereits zehnmal so viele sein. Beim „digitalen Zugang“ liegt das Land im Mittelfeld – Argentinien, Uruguay, Chile und die englischsprachige Karibik stehen besser da (www.itu.int/ITZ-D/ict).

In der internationalen Debatte wendet sich die Zivilgesellschaft nicht nur gegen die ungleiche Ausstattung mit Informationstechnologien, sondern vor allem gegen die zunehmende Privatisierung und Kommerzialisierung von Kommunikation und Wissen. Brasilien ist an diesem Punkt Vorreiter: Wie in vielen Behörden werden die Betriebssysteme der telecentros schrittweise von Microsoft auf frei zugängliche Software umgestellt. Allein staatliche Einrichtungen können durch den Umstieg auf Linux-Programme rund 330 Millionen Dollar im Jahr an Lizenzgebühren einsparen.

Die Option für die freie Software, der sich in Brasilien bereits etliche Banken und Großunternehmen angeschlossen haben, sei ebenfalls ein Schritt zur Überwindung der digitalen Kluft, meint ITI-Direktor Sergio Amadéu. Die Versuche Microsofts, mit der kostenlosen Verteilung von Lizenzen an staatliche Einrichtungen im Geschäft zu bleiben, vergleicht er mit Dealer-Praktiken. „Dem ITI etwas verkaufen wollen, das ist so, als wollte man einem Pinguin einen Kühlschrank andrehen“, meint Microsoft-Manager Lorenzo Madrid resigniert.

GERHARD DILGER