Neuwahl in der Türkei möglich

Nach Urteil des obersten türkischen Gerichtshofes könnte die Wahl annulliert werden

ISTANBUL taz ■ Ein gestern ergangenes Urteil des obersten türkischen Gerichtshofes wird möglicherweise zur Folge haben, dass die Parlamentswahlen vom letzten November annulliert werden. Das Gericht verurteilte den früheren Vorsitzenden der pro kurdischen Partei Dehap, Mehmet Abbasoglu, sowie drei weitere Exfunktionäre der Partei in letzter Instanz wegen Urkundenfälschung zu einem Jahr und elf Monaten Haft.

Bei den vom Gericht als erwiesen angesehenen Fälschungen handelte es sich um Unterlagen für die letzten Parlamentswahlen, mit denen die Partei nachweisen wollte, dass sie, wie vom Wahlgesetz gefordert, landesweit in jedem Wahlbezirk vertreten ist. Da die Dehap hauptsächlich im kurdisch besiedelten Teil des Landes stark ist, hatte sie Schwierigkeiten, ihre Präsenz auch im übrigen Land nachzuweisen.

Das vorliegende Urteil wird nun vom Hohen Wahlausschuss nach seinen möglichen Konsequenzen abgeklopft. Zwar erreichte die Dehap bei den Wahlen nicht die erforderlichen landesweiten 10 Prozent und kam deshalb nicht ins Parlament, trotzdem könnte das Urteil alles durcheinander bringen. Der Wahlausschuss kann entweder argumentieren, der Wegfall der Dehap, deren Stimmen jetzt annulliert werden, tangiere das jetzige Parlament nicht. Es kann sein, dass der Ausschuss entscheidet, die Dehap-Stimmen auf alle anderen Parteien umzuverteilen. Dann käme eventuell die DYP von Exministerpräsidentin Tansu Ciller nachträglich ins Parlament, oder der Ausschuss fordert Neuwahlen.

Damit wäre der historische Wahlsieg der AKP im letzten November ungültig und der Wahlkampf würde von vorn beginnen. Nach den vorliegenden Umfragen könnte die AKP von Ministerpräsident Tayyip Erdogan allerdings erneut mit einem großen Wahlsieg rechnen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH