Schröder wird übel

SPD-Parteiführung greift Abweichler und Parteilinke frontal an. Generalsekretär Olaf Scholz: „Konstruktive Diskussion“. Eine der Kritikerinnen: „Übelste Sitzung, die ich je erlebt habe“

BERLIN taz ■ In der SPD liegen die Nerven blank. Die Parteiführung hat auf ihrer gestrigen Vorstandssitzung die Abweichler in den eigenen Reihen frontal angegriffen. Kritik wurde nicht nur am Abstimmungsverhalten der sechs Bundestagsabgeordneten geübt, die am Freitag gegen die Gesundheitsreform gestimmt hatten. Attackiert worden sind auch Vertreter der Parteilinken, die am Wochenende Korrekturen am Regierungskurs gefordert und vor einer „Ausgrenzung“ der Abweichler gewarnt hatten.

Der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer bezeichnete die Auseinandersetzung im Vorstand gegenüber der taz als „Gewitter“. Eine der angegriffenen Linken sagte zur taz: „Das war die übelste Vorstandssitzung, die ich je erlebt habe.“ Generalsekretär Olaf Scholz bezeichnete die Diskussion hingegen als „sehr konstruktiv“. Es habe keine lauten Töne gegeben, sagte Scholz auf der anschließenden Pressekonferenz. Der Parteivorstand habe das Verhalten der sechs Abgeordneten kritisiert und die „deutliche Erwartung“ zum Ausdruck gebracht, dass Beschlüsse der Partei und Mehrheitsbeschlüsse der Fraktion auch von Bundestagsabgeordneten mitgetragen werden müssten. Entgegen der Forderung aus der SPD-Fraktion seien die Abweichler aber nicht zum Mandatsverzicht aufgefordert worden. Scholz wollte jedoch nicht bestreiten, dass die SPD Druck auf ihre Abgeordneten ausübt. „Ich finde schon, dass unsere Forderung nachdrücklich ist“, sagte er. Der Generalsekretär sprach gleichzeitig von „Signalen“ dafür, dass die Gegner des Reformkurses den Aufruf zur Geschlossenheit bei den nächsten Abstimmungen über die Gesetzesvorhaben der Agenda 2010 befolgen wollten.

„Es hat keine Einigung gegeben, in keinem einzigen Punkt“, sagte die Parteilinke Andrea Nahles. „Unfassbar und ätzend“ sei die Kritik an den Linken im Vorstand gewesen, sagte ein Vorstandsmitglied zur taz. Schröder habe keinerlei inhaltliche Angebote an die Kritiker gemacht, sondern nur auf die Bedeutung der eigenen Mehrheit im Parlament und der Gestaltungsfähigkeit der rot-grünen Regierung verwiesen. Als der Juso-Vorsitzende Niels Annen redete, unterbrach ihn der Kanzler gleich dreimal und machte ihn vor versammelter Mannschaft runter. „Was willst du denn“, soll Schröder gesagt haben, „du bist doch nur Sprecher einer kleinen Arbeitsgemeinschaft. Ich bin der gewählte Vorsitzende der Partei.“ Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck bezeichnete in der Sitzung die Kritik aus den eigenen Reihen als „Krebsgeschwür“.

Schröders Reformkurs fand im Vorstand breite Unterstützung. Der Leitantrag für den Parteitag Mitte November, der langfristige Ziele der SPD über die Agenda 2010 hinaus festschreibt, wurde vom Vorstand mit klarer Mehrheit gebilligt. JENS KÖNIG

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