Federn wie Klingen

Literatur, die ganz Bremen bewegen muss: SPD-Chef Detlev Albers und CDU-Chef Bernd Neumann präsentieren einschneidende Prosa im Rathaus

Erschütterung: Das Wort fehlt im gestern von Detlev Albers und Bernd Neumann präsentierten Prosa-Werk, und doch ist es gleichsam omnipräsent. Unter dem Titel „Rahmenbedingungen für den Doppelhaushalt 2004/2005“ veröffentlichten die beiden bislang zu Unrecht über Bremen hinaus wenig beachteten Autoren einen nur fünfseitigen Text, um den in dieser Stadt künftig niemand mehr herumkommen wird: geschrieben mit Federn wie Rasierklingen.

Erschütterung ist das Wort, das fehlt. Diese Leerstelle offenbart sich selbst dem kundigen Leser nicht auf Anhieb. Die subversive Strategie der Autoren: Sie haben den Text ganz lautlich konzipiert, nicht minder konsequent als etwa Christian Morgenstern. Bei ihnen jedoch wird das Sinnparadigma als Fassade bewahrt. Das ist fast schon bösartig ironisch, verführt es doch Unbedarfte zur von vornherein vergeblichen Suche nach dem Wirklich-Gemeinten: Wo nichts ist, lässt sich nichts finden – oder alles. Das Leben passt nicht aufs Papier. Auf dem gewinnt folgerichtig der a-semantische Suffix „-ung“ als so unauffälliges wie frequentes Leitmotiv die Oberhand.

Schon in der Überschrift taucht es auf, dann, sofort, ein Doppelschlag: „Übergeordnete Zielsetzung der kommenden Haushaltsberatungen…“. Das klingt diamanten hart und ist doch fein moduliert durch den Plural, der den Binnenreim kaschiert. In Abschnitt IX bricht er hingegen gar in den ihm sonst verschlossenen grammatikalischen Bereich der Adjektive ein: „Um eine neue bildungs- und kulturpolitische Profilbildung des Standortes Bremen zu erreichen, [...] Umsteuerung der Aufgabenwahrnehmung [...] Schule/Elementarerziehung[...]“ – fünf „-ung“ so dicht gedrängt, das ist fast schon erdrückend. Sanft modernistisch hingegen Offbeats wie „Neuordnung“/„Koalitionsvereinbarung“, und schließlich der weitende Schluss: „Die Möglichkeiten einer Verlängerung der Altersgrenze für die Vollzugsdienste sind zu prüfen“, der das Behauptende des Titels durch das Wort „Möglichkeiten“ gleichsam durchstreicht.

Wäre das der vollkommene Verzicht auf Kommunikation? Nein. Ein einziger Satz enthält sich des „ung“-Reims, und es liegt nahe, ihn als Aussagekern des Werks zu deuten. Es handelt sich um Abschnitt IV: „Ausgeglichene konsumtive Haushalte können 2005 nur erreicht werden, wenn die Zusagen des Bundes (Kanzlerbrief) gegenüber dem Land in vollem Umfang erfüllt werden.“ Was bleibt ist Erschütterung.

Benno Schirrmeister

Detlev Albers, Bernd Neumann: „Rahmenbedingungen für den Doppelhaushalt“, Selbstverlag, 20.000 Euro