berliner szenen Die Macht von unten

Der Hase ist ein Zauberer

Wir zeugen jedes Jahr ein frisches Kind, das wir doch schon kennen und lieben, so die Versprechung, die zur Recombination in die Arena lockt. Das Kind heißt: Guter, alter, lieber Rave. Alte Schule. Neunziger. Entsprechend das Line-up: Westbam, Tomcraft und Chris Liebing, der Maximilian Lenz des neuen Jahrtausends.

Vor der Halle sieht’s gut aus, ein großes Schlachtfeld zersprungener Bierflaschen. Dazwischen ein einsam entspannter Polizeiwagen mit rauchender Besatzung. Drinnen zucken bunte Laser und das Haus des Reisens in psychedelischen Farben über die Videoscreens. Das Feld der Raver steht noch still, erlaubt einen Blick auf Körper und Gesichter. Die Society ist jung, die Mädchen und Jungen monoton schön, gebräunt, trainiert. Nur fehlt irgendwie die Liebe. Die Liebe im freundlichen Gesicht und zu sich selbst, also zum eigenen Stil. Stattdessen gewählt: Sicherheitsbeamter Pit Bull und Schutzmann Lonsdale.

Dann ist es halb drei und DJ Westbam springt in die Kanzel. Ich steh dicht bei ihm und schau von schräg unten auf den Mann, der aussieht, als könne er ganz prima Autos reparieren, jetzt schnelle Beats in die Menge wirft und dazu hoppelt wie ein Hase. Lustig sieht das aus.

Das Überraschende und Großartige daran ist, dass es trotzdem funktioniert. Das Meer der Köpfe wird zur tanzenden Welle. Die Hände gehen hoch. Der Hase ist ein Zauberer. Und er freut sich. Wie ein Kind. Weil von oben vielleicht alles schöner aussieht. Hier unten auf dem Boden spuckt ein Fitnessstudioklotz einem schmalen Jungen vor die Füße. Warum? Vielleicht weil der seine Freundin angetorkelt hat. Vielleicht auch einfach so. Schade, schrecklich schade, dass der Zauber nicht auch von unten mächtig ist. HENNING KOBER