Der schöne Klang der Fehler

Wer zu erfolgreich Lücken schließt, wird kaum noch als Held der Grenzüberschreitung gefeiert. So geht es den Freunden guter Musik nach 380 Konzerten in 20 Jahren

Es ist lästig, über die „Freunde Guter Musik“ zu schreiben. Erst kritzelt man einen Zettel voll – mit Wörtern wie „Grenzüberschreitungen“, „passt in keine Schublade“, „unerhörte Klänge“ oder „exotische Pflanzen und schillernde Blüten“ – und befördert den abgestandenen Jargon anschließend dorthin zurück, wo er herkam: in den Mülleimer.

Man erinnert sich dann an die Gründungsfabel des Vereins. Man notiert, dass es 1983 unmöglich gewesen sei, bestehende Berliner Institutionen zur Aufführung einer Glenn-Branca-Komposition zu bewegen, schlicht weil sich für die Mischung aus Rockbesetzung und sinfonischem Format niemand zuständig fühlte. Und dass daraufhin die „Freunde Guter Musik“ diese Lücke im Musikleben der Stadt schlossen und tatsächlich ein Glenn-Branca-Konzert auf die Beine stellten. Aber während man all das niederschreibt, wächst einem gleich der Bart des Märchenonkels.

Schließlich tut man, was man ohnehin am liebsten tut: Man fängt an zu theoretisieren. Darüber, dass es eine etablierte Musik gibt, die Institutionen wie die Oper oder die Philharmonie hervorgebracht hat, und dass diese Musik sich von ihren Institutionen pflegen und verwalten lässt. Dass es daneben immer schon eine zweite Musik gegeben hat, die über keine derartigen Institutionen verfügt und deren Künstler sich in Freiheit, aber eben auch in Armut widmen. Die „Freunde Guter Musik“ verschaffen dieser zweiten Musik, dem Experiment der künstlerischen Freiheit, einen Rahmen. Natürlich laufen sie stets Gefahr, selbst zur Institution, zur „geronnenen Kultur“, zu werden. Und es fehlt ihnen das Korrektiv einer Öffentlichkeit, der sie Rechenschaft schuldig wären.

Aber mit Gedanken zum kulturpolitischen Unterbau wird man einer Einrichtung wie den „Freunden“ auch nicht gerecht. Erstens vergisst man darüber, Engagement und Opfer in Rechnung zu stellen, die es kostet, um in zwanzig Jahren 380 Konzerte auf die Beine gestellt zu haben, die sonst einfach überhaupt nicht stattgefunden hätten. Zweitens hätte man eben noch kein Wort über die Musik selbst verloren, an der man sich viele Artikel lang so redlich ob ihrer schweren Vermittelbarkeit abgearbeitet hat. Denn die Liste der Künstler, die von den „Freunden“ nach Berlin gelotst wurden, reicht von den Corefricklern Fred Frith und John Zorn in den frühen Achtzigerjahren über Stoiker wie La Monte Young und Charlemagne Palestine bis zum charmanten Tunichtgut Jim O’Rourke.

Anlässlich seines zwanzigjährigen Bestehens hat der Musikverein jetzt eine Konzertreihe initiiert, bei der sich die eigene Geschichte in der aktuellen Musik spiegelt. Bereits vorigen Freitag konnte man Glenn Brancas knochige und sperrige vierzehnte Sinfonie vernehmen – allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, kurz vor Schluss, an dem die Polizei das Konzert wegen Lärmbelästigung abbrach. Am Wochenende ist u. a. Rodney Graham samt Band zu Gast, ein bildender Künstler, der Zeichen und Riten der musikalischen Praxis zu seinem Material erkoren hat.

Das schönste Konzert findet allerdings heute statt, wenn sich nämlich zwei im Löten und Schalten geschulte Musikerinnen der Villa Elisabeth bemächtigen, um ihre psychoakustischen Experimente am Berliner Publikum durchzuführen: Eliane Radigue, die bei Pierre Schaeffer und Pierre Henry studierte und die Musique concrète um biomorphe Klangkonzepte bereicherte, und Maryanne Amacher, die Musik gerne und gekonnt gegen die Programmfehler der Software Mensch ausspielt.

Es bleibt bei alledem lästig über die „Freunde Guter Musik“ zu schreiben. Nur: Wollen will man es schon. BJÖRN GOTTSTEIN