Doppelpass über die Mauer

Mehr als ein Ranschmiss ans neue Popding Fußball: Dreißig Jahre nach dem Sparwasser-Tor haben 22 Schriftsteller Geschichten zum deutsch-deutschen Länderspiel geschrieben. Eine Hälfte tritt für die BRD an, die andere für die DDR

Ein Lehrstück über das identitätsstiftende Gut Fußball

VON RENÉ HAMANN

Früher gab es Ghostwriter und Bildbände, die meist drei bis sechs Wochen nach den großen Turnieren erschienen. Meist stand ein großer Name Pate und tat so, als ob er das Buch selbst fotografiert und geschrieben hätte. Beispiel Karl-Heinz Rummenigge: Unser Weg ins Endspiel, ein Taschenbuch zur WM 1982.

Ganz, ganz früher gab es schöne Hardcover-Bände, in denen mangels Magnetaufzeichnungen und Fernseh-Retro-Wahn die besten Spiele im zeitgenössischen Ton nacherzählt wurden. Schön in Wir- oder Ich-Form. „Fritz spielte die Kugel zu Helmut rüber, doch in diesem Hexenkessel sahen wir alt aus.“ Meist sind es Fußball-Bücher, die auch begeisterte siebenjährige Fußballfans überhaupt erst zum Lesen bringen. Der Weg vom Spiel zum Buch ist nur ein Kurzpass.

Heutzutage, Nick Hornby und Klaus Theweleit sei Dank, gibt es auch das „intellektuelle“ Fußball-Buch. Schriftsteller lassen sich lang und breit über ihre Lieblingsvereine oder besonders memorierte Spiele aus, Philosophen vergleichen die Spielweise einer Nationalmannschaft mit der Bauweise ihrer Deiche, andere halten sich näher am Stoff und suchen den Sportredakteuren ihr Feld streitig zu machen. Dabei gibt es bereits hervorragende Sportredaktionen, selbst ein sonst so unerträglich provinzielles Blatt wie der Kölner Stadt-Anzeiger unterhält eine (dass Bild hauptsächlich wegen ihres Sportteils gelesen wird, ist indes nur ein Mythos – der Sportteil ist nicht besser als der Rest).

Ein Buch, das versucht, Fußball und Historik zusammen zu denken bzw. zu erzählen, ist zum kürzlich dreißig gewordenen WM-Kick DDR gegen BRD erschienen. Durchaus gelungen wird von jeweils 11 Autoren (Frauen Fehlanzeige) aus West und Ost von zwei verschiedenen Vergangenheiten erzählt, vom Fortwirken eines in der Geschichte einmaligen Spiels, eben dem mit dem Sparwasser-Tor. Das Spiel bleibt dabei stets im Mittelpunkt der Erzählungen – wenn auch oft ein Bogen ums Eigentliche geschlagen wird. Erzählverweigerung (wie bei David Wagner) oder Krimi (Erich Loest), Science-Fiction (Tobias O. Meißner) oder subjektiv-authentisch (u. a. Tobias Hülswitt). Gelegentlich, besonders in der westdeutschen Hälfte, in der mit auf den Literaturbetrieb trainierterer Feder geschrieben wird, merkt man den Geschichten ihren Auftragscharakter an. Erfreulich bleibt da die experimentellere Spielweise besonders einiger ostdeutscher Schreiber wie Tom Schulz und Andreas Gläser.

Man hätte auch versuchen können, 90 Minuten Fußballgeschehen nach James-Joyce-Manier nachzuerzählen: Gespielte gleich erzählte ist erzählende Zeit. Aber auch so ist das von Jan Brandt zusammengestellte Buch mehr geworden als ein weiterer Ranschmiss ans neue Popding Fußball.

Es gibt eine Menge zu lernen, über die diversen Biografien aus ehemals getrennten Landesteilen, über die verschiedenen Generationen (die Autoren sind zwischen 1926 und 1978 geboren) und dem Umgang mit dem identitätsstiftenden Gut Fußball. In der deutschen Geschichte, nicht nur des Jahres 1974, zur Hoch-Zeit des kalten Krieges und der Sozialdemokratie, sondern auch und gerade heute.

Zu lernen ist auch, dass das jeweils Andere fortlebt und fortleben muss, sonst ist ein ordentliches Spiel, ein Miteinander kaum möglich. Vielleicht wird erst 2010, wenn die letzte von einer DFB-Auswahl gewonnene WM zwanzig Jahre her sein wird (und die ersten nach Mauerfall geborenen Schreibenden reüssieren werden), zu sehen sein, wie die neue, wiedervereinigte Republik tatsächlich aussieht. Auf dem Platz und in der Realität.

So lange kann man aber noch im „Doppelpass“ lesen und sich auf die zweite WM, die hierzulande ausgerichtet wird, freuen. Einen Ausblick für den gesamtdeutschen Fußball hat das Buch auch parat. So meint Thomas Brussig: „Die besten Fußballer sollen ja aus den Slums kommen. Wenn das stimmt, gibt’s in Deutschland bald tolle Spieler.“ Das Wunder von Berlin 2006 kann kommen.

Jan Brandt (Hg.): „Doppelpass. Geschichten aus dem geteilten Fußballdeutschland“. Kookbooks, Idstein 2004, 272 Seiten, 17,90 Euro