Mein Abend mit Robert De Niro

Erstaunlich, wie glücklich es macht, einem Mann beim Schwitzen zuzuschauen: Die Libertines spielten in der Kalkscheune auch ohne ihren zweiten Frontmann ein – vor allem für die weiblichen Fans – denkwürdiges Konzert

Es gibt Konzerte, bei denen vorher gar nichts passiert, es gibt aber auch Konzerte wie das der Libertines in der Kalkscheune, bei denen liegt schon eine Stunde vor Einlass, wenn die Leute noch vor verschlossenen Toren warten, eine elektrisierende Spannung in der Luft. Die erwartungsvollen Gesichter der hübschen Zwanzigjährigen mit den sorgsam vernachlässigten Frisuren scheinen zu fragen: Wird dies ein historisches Konzert? Kann Carl Barât, der eine Kopf, Sänger und Gitarrist der Band, die Lage meistern ohne Pete Doherty, seinen Freund, den anderen Kopf, Sänger und Gitarristen, der wegen exzessiver Heroinsucht, unerlaubten Waffenbesitzes, Einbrüchen, Gefängnisaufenthalten usw. aus der Band geworfen wurde? Werden dies die letzten Konzerte der Libertines sein? Entscheidet Carl Barât nach seiner Rückkehr nach England, sie aufzulösen? Wird er eine der besten und aufregendsten und berührendsten Bands der letzten Zeit nach nur zwei Alben knicken? Oder wird ein Wunder geschehen, Pete Doherty kommt wider Erwarten plötzlich doch noch auf die Bühne und alles wird gut?

Schon nach den ersten zwei Songs der Libertines steht fest: Pete Doherty ist natürlich nicht in Berlin, andererseits ist es ja auch ganz großer Blödsinn, dieses Geraune, die voyeuristische Lust, etwas ganz und gar erschütternd zu finden, das einen doch herzlich wenig angeht. Die Libertines wirken etwas müde und reserviert, das ja. Andererseits: Was soll man auch machen, wenn man so hysterisch geliebt, derart zum Darling der Saison verklärt wird? Die Libertines sind professionell genug, einfach ein knackiges Konzert zu liefern und nicht auf die unangenehmen Klugscheißer im Publikum zu reagieren, die durch laute, wohlplatzierte Zwischenrufe vergeblich zu signalisieren versuchen: Auch ich bin des Englischen mächtig, auch ich studiere die britische Regenbogenpresse regelmäßig.

Das Konzert der Libertines ist dicht, konzentriert und absolut euphorisierend. Nichts, absolut nichts lenkt von ihrer herzbewegenden, zerbrechlichen, ihrer wunderschön melancholischen Musik ab: Weder wird auch nur ein einziges Mal gelächelt, es werden keine blöden Ansagen zwischen den Songs noch idiotisches Tanzen auf der Bühne geboten. Keine Instrumente werden mutwillig zerstört und es gibt auch keinen Flirt mit den hübschen Mädchen in der ersten Reihe. Nur das: Einmal verschenkt John Hassal, der Mann am Bass mit dem Pokergesicht und den großen Pupillen, der Mann, der die Gesangsparts von Pete Doherty in den Duetten einigermaßen souverän übernimmt, Wasserflaschen ans Publikum. Ein andermal reißt dem coolen Ersatzgitarristen mit der zerlöcherten Jeans eine Saite.

Und sonst? Vor allem Carl Barât, der erotischste Mann im Rock derzeit. Wie eine äußerst begnadete Kreuzung aus dem blutjungen Al Pacino in „The Panic in Needle Park“ und dem noch schmelzigeren Nicolas Cage in „Wild At Heart“ schaut er aus. Dieser Glitzergürtel, diese Schuhe mit den hohen Absätzen, diese Stimme. Auch, wenn sein entblößter Oberkörper zugegebenermaßen ein kleines bisschen zu wünschen übrig lässt: Einmal sieht man ihn von hinten im Gegenlicht, er reißt den Kopf herum, die Schweißtropfen fliegen gut beleuchtet wie in der Duschgelwerbung und ein sehnsuchtsvolles Ächzen geht durchs Publikum.

Schon erstaunlich, wie glücklich es machen kann, einem Mann beim Schwitzen zuzusehen. Das findet auch eines der besagten Mädchen in der ersten Reihe, die es plötzlich nicht mehr aushält, auf die Bühne klettert und nur mühsam von den Ordnern daran gehindert werden kann, dem armen Jungen die Hose vom Hintern zu reißen. Überhaupt die Ordner: Sie haben viel zu tun an diesem kompakten Abend in diesem engen Club – müssen immer wieder wüste Rüpel aus dem Moshpit ziehen, andere wüste Rüpel am Stagediven hindern.

Erst ganz am Ende wird man noch einmal schmerzhaft daran erinnert, dass diese Band nicht komplett ist. Die Libertines haben sich entschieden, ihren schönsten Song zu bringen. Carl Barât singt: „Oh what became to the likely lads? What became of the dreams we had? What became of forever?“ Dann fasst er sich kurz verzweifelt an die Stirn und man weiß ganz, ganz sicher: Jetzt denkt er an Pete Doherty. Hoffentlich wird er sie nicht auflösen, seine Libertines.

SUSANNE MESSMER