Die Grenzgängerin

In „Carola Stern – Doppelleben“ wird deutsch-deutsche Geschichte als wahre Biografie erzählt (ARD, 20.15 Uhr)

Arte hat gemeinsam mit den beiden großen öffentlich-rechtlichen Sendern ein neues Spiel erfunden: Filme verstecken. Fernsehproduktionen, die vom kleinen Kulturkanal kofinanziert werden, müssen dort aus lizenzrechtlichen Gründen „erstgesendet“ werden. Dadurch verwässert man die Quoten bei der Ausstrahlung in der ARD oder im ZDF, die für eine erfolgreiche Gesamtauswertung allerdings sehr wichtig sind.

Um den Kollegen vom Ersten und Zweiten hohe Zuschauerzahlen zu ermöglichen, finden spektakuläre Arte-Premieren deshalb neuerdings zu denkbar unattraktiven Zeiten statt.

So wurde „Carola Stern – Doppelleben“ im Juli im Arte-Nachmittagsprogramm versenkt. Dabei verfügt Thomas Schadts Doku-Drama mit der schillernden Titelheldin über eine Figur, durch die sich mit spielerischer Leichtigkeit ganz unterschiedliche Kapitel deutscher Nachkriegshistorie reflektieren lassen. Begeisterte Jungmädelführerin in der Nazizeit, glühende Stalinistin auf der Parteischule der SED, gefürchtete Kommentatorin beim WDR – Stern spielte all diese Rollen.

In ausführlichen Interviewpassagen kommt Stern selbst zu Wort; da spricht sie im rigorosen Duktus, den man auch aus ihren früheren TV-Auftritten kennt, über mangelndes Weltvertrauen und unerfüllte Sehnsüchte. Vieles muss in 90 Minuten vage bleiben, dafür sind die Spielszenen in sich schlüssig – auch dank der exzellenten Darsteller. Maria Simon verkörpert die junge Stern, die an der ostdeutschen Kaderschmiede kommunistische Glaubensbekenntnisse aufsagt, während sie für den Klassenfeind spioniert. Als Sterns Verrat auffliegt, flieht sie in den Westen und wird DDR-Expertin am Berliner Institut für politische Wissenschaft.

Simon spielt die Polit-Hasardeurin mit einer Mischung aus Verletzlichkeit und Gerissenheit. Bei ihr erscheint sie als Mauerblümchen, Freigeist und Pragmatikerin in einem. Ende der Sechzigerjahre ist Stern dann eine der wenigen weiblichen Medienpersönlichkeiten der Bundesrepublik.

Schauspielerin Renate Krößner gibt die späte Stern als Frau, deren Meinungsfreude schon mal unvorteilhaft in Egomanie umschlägt. So ist das Porträt einer Grenzgängerin entstanden, in deren Person sich wunderbar die Widersprüchlichkeiten deutsch-deutscher Zeitgeschichte spiegeln. CHRISTIAN BUSS