Bush droht eine Kelly-Affäre

Nach einem Pressebericht enttarnten Mitarbeiter der US-Regierung eine eigene Agentin. Diese ist mit einem Kritiker des Irak-Krieges verheiratet. Er machte sich in Washington im Zusammenhang mit dem angeblichen Irak-Niger-Uran-Deal unbeliebt

aus Washington MICHAEL STRECK

US-Präsidentensprecher Scott McClellan war selten so schlecht gelaunt und nervös. Mit Händen und Füßen wehrte er sich gegen die Anschuldigungen und blockte bohrende Fragen der Presse ab. Aus gutem Grund: Dem Weißen Haus droht ein Skandal um die gezielte Weitergabe von Indiskretionen an Journalisten vom Kaliber der britischen „Kelly-Affäre“. Am Wochenende wurde bekannt, dass das US-Justizministerium, seine Gegenspionage-Abteilung und das FBI Ermittlungen gegen die verbotene Preisgabe des Namens einer Geheimdienstagentin aufgenommen haben.

Bei der enttarnten Agentin handelt es sich um die Frau des US-Diplomaten Joseph C. Wilson, einen scharfen Kritiker der Irak-Politik von Präsident George W. Bush. Die Washington Post berichtete, Zeitungsredakteure seien am Samstag von Mitarbeitern der Regierung kontaktiert worden, die ausplauderten, zwei Mitarbeiter des Weißen Hauses hätten den Namen der Agentin verraten, um den US-Diplomaten zu diskreditieren.

Wilson ist der Bush-Regierung seit dem Sommer ein Dorn im Auge. Der ehemalige Botschafter im Irak war im vergangenen Jahr im Auftrag des Geheimdienstes CIA nach Afrika gereist, um die Vorwürfe über die angeblichen irakischen Uran-Aufkaufversuche in Niger zu untersuchen. In einer Kolumne in der New York Times verwarf er Anfang Juli diese Behauptungen als unhaltbar. Der angebliche Uran-Handel diente der US-Regierung als Teil der Rechtfertigungsstrategie für den Irakkrieg. Bush hatte den „Yellowcake-Deal“ in seiner Rede zur Lage der Nation Ende Januar zitiert. Regierungsvertreter gestanden später ein, dies hätte nicht geschehen dürfen. CIA-Direktor George Tenet übernahm Mitte Juli die Verantwortung.

Der damals zu Unrecht zum Sündenbock gemachte Tenet – die Verantwortung lag beim Sicherheitsstab des Präsidenten – drängt nun persönlich das Justizministerium, den Vorfall zu untersuchen. Nach Aussagen von Kennern der Geheimdienstszene liegen die Nerven in der CIA-Zentrale blank. Der Verrat einer Agentin gefährdet nicht nur ihr persönliches Leben und Informanten-Netzwerk, sondern die nationale Sicherheit insgesamt. Die Preisgabe von Geheimagenten ist ein schwerer Straftatbestand und kann mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden.

Nun gibt es kaum eine Hauptstadt, deren Politik und Medienwelt so sehr von Indiskretionen lebt. Doch dieses Delikt wiegt besonders schwer, und so ist kaum vorstellbar, dass die ohnehin angeschlagene US-Regierung sehenden Auges in eine neue Affäre stürzt. Sollte Rache wirklich das Motiv sein? Zumindest Wilson sieht sich und seine Frau als Opfer einer gezielten Vergeltungsaktion des Weißen Hauses. Öffentlich beschuldigte er Karl Rove, Bushs Chefstrategen, hinter dem Verrat zu stehen. Die Enttarnung seiner Frau habe klar das Ziel gehabt, Kritiker des Krieges zu stoppen. Sie sei „ein Schuss vor den Bug“ für jeden gewesen, der sich mit Kritik an der Kriegsentscheidung des Präsidenten vorwagt habe. Auch neutrale Beobachter können sich kein anderes Motiv außer Rache erklären. Sie wittern den Versuch der Regierung, Wilson Vetternwirtschaft zu unterstellen. Den Afrika-Auftrag habe er nur dank seiner Frau bekommen, die als Expertin zu Massenvernichtungswaffen arbeitet.

Für die oppositionellen Demokraten stellt der Fall einen „moralischen Skandal“ dar, wie es Präsidentschaftskandidat und Senator Joe Lieberman formuliert. Da sie Justizminister John Ashcroft in dieser Frage nicht zutrauen, unbefangen zu ermitteln, forderten sie eine regierungsunabhängige Untersuchung. Es bestehe „das Risiko einer politischen Intervention“, warnte Bush-Herausforderer John Kerry.

Der Aufruhr um den Verrat der Agentin könnte für Bush zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Seine Popularität ist auf dem Tiefpunkt und die Kriegsgründe zerbröckeln, seit die angeblichen ABC-Waffen im Irak verschollen bleiben. Auch der erhoffte Joker, der von der Regierung extra angeheuerte Waffeninspekteur David Kay, musste das Weiße Haus enttäuschen und kündigte jüngst an, in seinem mit Spannung erwarteten Bericht werde es keine neuen Erkenntnisse geben.