Carstensen – der neue Mann für Kiel?

Der CDU-Politiker Peter Harry Carstensen wird neuer Ministerpräsident in Schleswig-Holstein – wenn er im Wahlkampf seinen Umfrage-Vorsprung nicht noch verspielt. Gestern stellte er vor, wie er den Wahlkampf gegen Heide Simonis bestreiten will

CDU-Favorit Carstensen: „Wir wollen mit Kultur werben. Wir wollen, dass Menschen Kultur konsumieren.“

Aus Kiel: Esther Geißlinger

Na, es geht ja: Nach zwei eher peinlichen Auftritten im großen Schauspiel einer Wahlkampfinszenierung gelang der schleswig-holsteinischen CDU am Mittwoch eine annehmbare Haltungsnote: Zur Vorstellung ihres Programms fand sich im Kieler Landeshaus ein großer Bahnhof von JournalistInnen ein. CDU-Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen begrüßte die Runde: „Es ist eine etwas eigenartige Situation, über das zu berichten, was Sie schon geschrieben haben.“

Denn – das gehörte zu den bisherigen Peinlichkeiten – eigentlich war die Programmvorstellung bereits vor zwei Wochen geplant gewesen, der Termin kollidierte aber mit einer Landtagssitzung und musste spontan verschoben werden, begleitet von hämischen Kommentaren der anderen Parteien. Auch nicht gerade ein Ruhmesblatt war die Vorstellung des „Schattenkabinetts“ auf einem Kleinen Parteitag unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ (taz berichtete).

Gestern aber wollte Carstensen die „Philosophie“ des Programms verdeutlichen, das unter dem Motto „Erneuerung mit Verstand“ steht. Zusammenfassend schickte der CDU-Spitzenkandidat voraus: „Mein fröhliches Lachen ist wieder da – das Programm ist gelungen.“

Mit sieben Themenfeldern geht die CDU auf die Jagd nach WählerInnen, die im Februar 2005 den neuen Landtag bestimmen sollen. Finanzen, Bildung, Wirtschaft bilden die ersten Schwerpunkte. Denn Schleswig-Holstein von seinem Schuldenberg herunterzubringen und die Wirtschaft anzukurbeln, seien die vorrangigen Aufgaben, machte Carstensen klar: „Schleswig-Holstein hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung in der Bundesrepublik. Wer hier geboren wird, wird mit 6.760 Euro Schulden geboren.“

So will die CDU auf eine Kombination von „Sparen und Wachstum“ setzen, jede Ausgabe werde geprüft, ob sie Arbeitsplätze schaffe, ob sie die Zukunftschancen der jungen Generation verbessere, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf diene oder das Ehrenamt stärke: „Wenn eine Maßnahme nicht mindestens ein Häkchen für eines dieser Kriterien erhält, dann wird das nicht zu leisten sein“, drohte Carstensen. „Spielwiesen müssen wir aufgeben.“

Solche Ankündigungen riefen sogleich die Grünen auf den Plan. In einer Stellungnahme äußerten sie die Befürchtung, dass unter einer CDU-Regierung beispielsweise Beratungsstellen und Projekten für Frauen und Jugendlichen das Aus drohe. Auch die Partei der dänischen Minderheit, SSW, warnte vor „vielen Härten für sozial Schwache“.

Allerdings: Theater, Museen, der kulturelle Bereich bliebe verschont, versicherte Carstensen auf taz-Nachfrage: „Wir wollen mit Kultur werben. Wir wollen, dass Menschen Kultur konsumieren.“ Denn Großereignisse wie das Schleswig-Holstein-Musikfestival, aber auch das Wacken-Open-Air, bei dem vorwiegend Heavy-Metal-Gruppen auftreten, seien „wirtschaftlich zu sehen“ – sprich: Was Geld in die Kasse bringt, darf weiterlaufen.

Ansonsten will die CDU unter anderem den Bau der Autobahn 20 vorantreiben, rund 2.000 Stellen in den Ministerien und anderen Behörden abbauen, durch vereinfachte Gesetze die Bürokratie entrümpeln sowie kommunale und private Investitionen durch Landesbürgschaften anschieben.

Das Schulsystem soll dreigliedrig bleiben, allerdings strebt die CDU Ganztagsunterricht an, und es soll leichter möglich sein, von einer Schulart zu anderen zu wechseln. 650 neue LehrerInnenstellen sollen entstehen. Die sollen die PädagogInnen allerdings teilweise selbst erwirtschaften: Durch mehr Arbeit in größeren Klassen.

„Regierungsprogramm“ nennt die CDU ihr 95-Seiten-Papier, als ob die Wahl schon gewonnen wäre. Aber ob Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen dazu wirklich das Zeug hat, bleibt abzuwarten. Der 57-Jährige, der von der Nordseeinsel Nordstrand stammt, hat Landwirtschaft gelernt und studiert. Seit 1971 gehört er der CDU an, seit 1994 saß er dem Bundestagsausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vor. Im vergangenen Jahr bestimmte ihn seine Partei zum Spitzenkandidaten für Schleswig-Holstein.

Die Bodenhaftung hat Carstensen nie verloren: In seiner Heimat Nordfriesland besucht er gern Volksfeste und hat keine Scheu vor dem Bad in der Menge. Bundesweit machte er jüngst Bild-Schlagzeilen: Er suche eine Frau, teilte er treuherzig dem Massenblatt mit, weil ihm so einsam sei, wenn er abends nach Hause komme. Dieser Auftritt berührte auch die eigene Basis peinlich –da half es wenig, dass der Kandidat hinterher beteuerte, so hätte der Text gar nicht aussehen sollen.

Dennoch dürften sich vor allem die WählerInnen auf dem Lande bei Carstensen gut aufgehoben fühlen: Die LandwirtInnen der Halbinsel Eiderstedt etwa, die zurzeit mit der rot-grünen Landesregierung streiten, ob ihr Grund und Boden den Status eines Vogelschutzgebiets erhält. Aber reicht das für den Sieg im Februar?

Auch die CDU selbst hat sich diese Frage gestellt: „Wir waren immer stark auf dem Land“, sagte Johann Wadephul, Vorsitzender der Programmkommission. „Aber Wahlen gewinnt man in Schleswig-Holstein, wenn man in den kreisfreien Städten rund um Hamburg erfolgreich ist.“ Daher bietet das Programm Schmankerl für BewohnerInnen im Hamburger Umland, zum Beispiel ein drittes Gleis für die S-Bahn nach Ahrensburg und Bargteheide im Speckgürtel an.