„Lang lebe Dziga Vertov!“ heißt die Filmreihe über den Dokumentarfilmer und Filmtheoretiker im Metropolis
: Mechanisches Auge der Wochenschau

Vor 50 Jahren starb in Moskau der sowjetische Dokumentarfilmer und Filmtheoretiker Dziga Vertov. Das Metropolis zeigt aus diesem Anlass die kleine Filmreihe „Lang lebe Dziga Vertov!“. 1917, während der Oktoberrevolution stellte sich ein 20-Jähriger beim Moskauer Filmkomitee vor. Dziga Vertov, der 1898 im russisch-polnischen Bialystok geboren wurde als David Abelewitsch Kaufman.

Mit der Revolution war auch eine Umwälzung in der Kultur verbunden: Marc Chagall wurde kurze Zeit Volkskommissar für revolutionäre Malerei, und Agitationszüge voller Theatergruppen, mobiler Kinos und Kameras fuhren über Land. ExponentInnen verschiedener Konzepte von Kultur lagen im Wettstreit darüber, welches am besten zur neuen Zeit passe.

„Wir nennen uns »Kinoki« im Unterschied zu den »Kinematographisten« – der Herde von Trödlern, die nicht übel mit ihren Lappen handelt. ... Wir erklären die alten Kinofilme, die romantizistischen, theatralisierten u.a. für aussätzig. Nicht nahekommen! Nicht anschauen! ... Wir bekräftigen die Zukunft der Filmkunst durch die Ablehnung ihrer Gegenwart.“ So schrieb Dziga Vertov 1922 in seinem berühmten „Wir. Variante eines Manifestes“. Er hatte 1919 die Dokumentarfilmergruppe „Kinoki“ mitgegründet. Spielfilme lehnten sie grundsätzlich ab.

Die Kamera erklärte Vertov zu „Kinoglaz“ („Kino-Auge“), welches die bürgerliche Wahrnehmung der Welt durch das Auge in Frage stellen sollte: „...Ich bin Kinoglaz. Ich bin ein mechanisches Auge. Ich, die Maschine, zeige euch die Welt so, wie nur ich sie sehen kann. Von heute an und in alle Zukunft befreie ich mich von der menschlichen Unbeweglichkeit.“

Vertov gilt in der Filmgeschichte als der Erfinder der kompilierten Wochenschau, die kollektiv entwickelt wurde, um im Bürgerkrieg die nicht alphabetisierten Bauern und Arbeitern zu agitieren. Vertov war der nicht narrativen Methode verpflichtet und lehnte Drehbücher ab. Vertov war in den 20er Jahren ungemein produktiv und steht beispielhaft für eine ganze Generation von sowetischen Dokumentarfilmern. Mithilfe der Montage setzten sie die Welt neu zusammen und erstellten sie zu neuer Kenntlichkeit. In den 30ern, mit der Herrschaft von Stalin, fand nicht nur der politische Impuls der Bolschewiki, sondern auch der kulturelle Aufbruch ein Ende. Zur Zeit der großen, von Stalin inszenierten Schauprozesse konnte Vertov zwar als Cutter arbeiten, aber keine eigenen Filme mehr machen.

Dziga Vertov überlebte die nationalsozialistischen Deutschen, in deren Feindbild der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung er passte. Die Wucht, mit der er Bilder zu einer Dokumentation gegen den deutschen Überfall hätte zusammenfügen können, lassen seine Filme, die jetzt im Metropolis gezeigt werden, erahnen.

Für den Stummfilm „Ein Sechstel der Erde“ hat Vertov 1926 Filmberichte aus allen Teilen der Sowjetunion zu einem großen gleichberechtigten Miteinander verschiedenster Menschen montiert. Sein acht Jahre später entstandener Film über den bekanntesten Leiter der Oktoberrevolution, Lenin, huldigt diesen so, dass es eine indirekte Kritik an Stalin ist.

Der Tonfilm „Drei Lieder über Lenin“ ist um drei usbekische Lieder montiert: Eines über die Befreiung der Frauen Zentralasiens vom Schleier, eines über das politische Wirken Lenins und sein Begräbnis 1924, eines über Errungenschaften des Sozialismus im Sinne Lenins. Nicht nur KomunistInnen werden diese Filme bewegen.

Gaston Kirsche

Heute, 19 Uhr: Ein Sechstel der Erde. Um 21.15 Uhr: Drei Lieder über Lenin, Metropolis