Ein hartnäckiger Wurmfortsatz

Auch die Regierungskonferenz zur Reform der EU-Verträge wird den Euratom-Vertrag ungeschoren lassen

Wenn Schröder und Fischer Rom nicht nutzen, handeln sie gegen ihre Ausstiegspolitik

BRÜSSEL/BERLIN taz ■ Wenn Samstag in Rom Staats- und Regierungschefs der EU-Familie feierlich die Reformverhandlungen eröffnen, ist das Ergebnis des EU-Verfassungskonventes Grundlage. Ein stellenweise kühnes, über weite Strecken auch aus Kompromissen mühsam gestricktes Werk. Der Anhang ist ein fast fünfzig Jahre alter Wurmfortsatz: der Euratom-Vertrag.

Warum er einst abgeschlossen wurde, steht in aller Deutlichkeit in Artikel 1: „Aufgabe der Atomgemeinschaft ist es, durch die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen … beizutragen.“ In einer Union, wo 7 Mitglieder keine AKWs wollen, 6 weitere den Ausstieg beschlossen haben, ist diese Zielsetzung einigermaßen anachronistisch. Dennoch gab es im EU-Konvent nur zaghafte Versuche, Euratom zu überarbeiten – oder zu streichen. Viele Delegierte machten sich die Haltung des deutschen Außenministers Joschka Fischer zu Eigen: Lieber die atomfreundlichen Länder nicht verärgern und dafür in anderen wichtigen Streitfragen gewinnen.

Am 24. September stimmten die Europaabgeordneten über das Ergebnis des Reformkonventes ab. Mehrheitlich fordern sie „die Regierungskonferenz auf, eine Vertragsrevisions-Konferenz einzuberufen“. Veraltete Vorschriften sollen abgeschafft werden – „insbesondere die Förderung von Atomenergie“. Die Formulierung zeigt, dass das Parlament die Möglichkeiten der Regierungskonferenz an diesem Wochenende realistisch einschätzt: Sie wird Euratom nicht anfassen – um Kompromisse in anderen Bereichen nicht aufs Spiel zu setzen. Bis zu einer möglichen Vertragsrevisions-Konferenz bleibt alles beim alten. Bedeutet: Auch künftig fließt mehr Geld in die Kernforschung als in alle anderen Energieträger zusammen.

Kredite für Bau und Modernisierung von AKWs in Osteuropa werden auch künftig über Euratom von allen Mitgliedsstaaten finanziert. Wie fragwürdig diese Praxis ist, zeigt ein Bericht des Europäischen Rechnungshofes vom November 1998. Der Großteil der eingesetzten Mittel sei wirkungslos verpufft. Dennoch kündigte die Kommission im November 2002 an, die Hilfen zur Sicherung von AKWs außerhalb der EU um 2 Milliarden Euro zu erhöhen. Gesetzliche Grundlage: Euratom, seit Juli letzten Jahres der einzige Sondervertrag der Union. Damals lief der Vertrag für Kohle und Stahl aus. Er sichert der Atomkraft eine Sonderrolle, die sämtlichen Binnenmarktregeln zuwiderläuft. So leistet sich die Kommission ein eigenes Nuklearforschungszentrum mit über 1.000 Wissenschaftlern. Das Forschungsbudget von 246 Millionen Euro pro Jahr – doppelt so hoch wie für die Entwicklung erneuerbarer Energien – wird nicht innerhalb des Parlaments kontrolliert, sondern von der Kommission verwaltet – weitgehend frei von öffentlicher Kontrolle.

Greenpeace, der DNR und der BUND forderten deshalb gestern von der Bundesregierung, Euratom auf der Regierungskonferenz in Rom zum Thema zu machen. Daniel Mittler vom BUND: „Wenn Schröder und Fischer die Chance nicht nutzen, handeln sie gegen ihre eigene Atomausstiegspolitik.“ Anderenfalls lege sich die europäische Gemeinschaft „für weitere Jahrzehnte zur uneingeschränkten Förderung der Atomkraft fest“, so DNR-Expertin Britta Steffenhagen. DANIELA
WEINGÄRTNER, NICK REIMER