schwabinger krawall: entrümpelter haussegen von MICHAEL SAILER
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Am Sonntag in aller Frühe hat die alte Frau Reibeis Herrn Hammler herausgeklingelt. Ob er ihr helfe, ihren Keller auszuräumen, weil er doch früher Hausmeister gewesen sei. Gegen den Rat seiner Frau, die als Begründung nur sagte, sie kenne die alte Schachtel, ist Herr Hammler mit Frau Reibeis in den Keller hinuntergestiegen. Dort hat er sich mühsam einen Weg in das muffige Abteil gebahnt und angefangen, Sachen hinauszuschmeißen, um sie später in blauen Müllsäcken zur Aschentonne zu expedieren: ein altes Radio, eine Kiste voller Bierdeckel aus der Weimarer Republik, aufgequollene Bücher in Fraktur, einen Lampenschirm, etliche Paar Schuhe, die Frau Reibeis in ihrem 94-jährigen Schrumpelzustand höchstens noch als Ruderboot benützen könnte, einen Koffer mit Aufklebern aus dem Engadin und Südtirol, einen verrosteten Vogelbauer, eine Holzkiste mit der Aufschrift „Augustiner=Bräu“ voller Postkarten und anderem Zeug. Vielleicht hätte er die Kiste lieber nicht hinausschmeißen sollen, denn damit ging das Malheur los.

Frau Reibeis nämlich hat jetzt angefangen zu wühlen, und dabei hat sie eine Ansichtskarte von ihrer Tante Zenta aus Kroatien gefunden, von 1916. So etwas müsse man allerdings aufheben, wegen der Briefmarke und weil die Tante auch schon wieder 55 Jahre tot sei und es dieses Land gar nicht mehr gebe. Kroatien, hat Herr Hammler gegrummelt, gebe es schon lange wieder.

Frau Reibeis hat die ganze Kiste in ihre Wohnung hinaufgewuchtet und ist gleich wieder hinuntergerumpelt, um die Modellschuhe zu suchen, die ihr ihre Schulfreundin Sidonie 1941 aus Paris geschickt hat und die aber schon in Herrn Hammlers blauem Sack verschwunden waren. Er könne doch nicht die guten Schuhe wegwerfen, hat sie gesagt und sofortige Leerung der Tüte angeordnet, woraufhin sie dann das Radio („Beromünster! Hach, denken Sie nur!“), die Schuhe („Neue Sohlen sind schnell gemacht!“), drei leere Weinflaschen („Damals mit meinem seligen Albert in der Wachau …“), Lampenschirm, Bierdeckelsammlung, Vogelbauer, Koffer, Bücher, Blechgeschirr, Bilderrahmen, eine Porzellanpuppe sowie überhaupt alles in die Wohnung hinaufgeschleppt und gejauchzt hat, dies und das suche sie schon so lange. Herr Hammler hat seinen blauen Sack wieder zusammengerollt und zu seiner Frau gesagt, die alte Kachel sei inzwischen vollkommen dement und er trinke jetzt ein Bier.

Aber als Herr Hammler gerade in den Augustinergarten radeln wollte, hat es schon wieder geklingelt, und die alte Frau Reibeis hat gefragt, ob er ihr mit den Kisten aus dem Speicher helfen könne, und da hat Herr Hammler gesagt, sie solle ihm den Buckel hinunterrutschen, und weil Frau Reibeis darum selbst Hand anlegen musste und mit dem Buffetaufsatz die Treppe hinuntergefallen ist, wobei sie sich zwar nichts getan hat, aber das 44-teilige Teeservice von ihrer Großtante Adelheid in Scherben gegangen ist, worüber Frau Reibeis so erzürnt war, dass sie die anderen Sachen aus dem Fenster auf die Straße geschmissen hat, wo sie Herr Hammler dann aufsammeln und wieder in Speicher und Keller verfrachten musste und deswegen den „Tatort“ verpasst hat – darum hängt jetzt der Haussegen einigermaßen schief.