Kürzen, kappen, Kassen füllen

Roland Koch und Peer Steinbrück haben eine Idee: die Gesundung der Staatsfinanzen. Die setzt die Zusammenarbeit der politischen Gegner voraus

aus Berlin HANNES KOCH

Von links schiebt sich ein roter Pfeil mit der Aufschrift „SPD“ drohend in Richtung Mitte. Von rechts kommt ein schwarzer, auf dem „Union“ steht. Ihre Spitzen bohren sich in das Opfer zwischen ihnen und zermalmen es. Damit jeder weiß, was das bedeutet, steht darüber die Schlagzeile „Politischer Grundwiderspruch zerbröselt die Idee“. Computeranimation auf der Höhe der Zeit.

Als Hüter ebendieser Idee präsentieren sich die beiden Protagonisten unterhalb der großen Leinwand im Vortragssaal des Bundesrates. Die „Idee“ – das ist die Gesundheit der Staatsfinanzen. Die wollen Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD), die Ministerpräsidenten von Hessen und Nordrhein-Westfalen, vor dem Bösen retten – also genau genommen vor ihren Parteien. Die neue Einsicht in die Notwendigkeit und die vorübergehende Abkehr von der politischen Konkurrenz begründete Koch so: Ohne Zusammenarbeit zwischen den großen politischen Blöcken sei die vollkommene Pleite des Staates nicht mehr abzuwenden – bei „mindestens 67 Milliarden neuen öffentlichen Schulden in diesem Jahr“. Diese Erkenntnis gaben Koch und Steinbrück als Ergebnis der gescheiterten Sparverhandlungen zwischen rot-grün dominiertem Bundestag und der Unionsmehrheit des Bundesrates im Frühjahr diesen Jahres aus.

Nachdem die Ministerpräsidenten und ihre Experten seit April an ihrem Konzept gearbeitet haben, liegt das Ergebnis nun vor. Zwischen den Subventionslisten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (157 Milliarden Euro pro Jahr) und der Bundesregierung (59 Milliarden) wählt die Hessen/NRW-Kommission einen Mittelweg: 127 Milliarden Euro werden als gruppenspezifische Ausnahmen von allgemeinen Steuernormen und öffentliche Finanzhilfen zugunsten bestimmter Klientelgruppen definiert.

Die beiden Ministerpräsidenten schlagen nun vor, zwischen 2004 und 2006 die meisten Subventionen um vier Prozent pro Jahr zu kürzen. Beispiele: Der Höchstbetrag der Eigenheimzulage soll von heute 2.556 Euro jährlich in drei Schritten auf 2.250 Euro sinken. Das soll den Finanzministern Mehreinnahmen von 1,35 Milliarden Euro pro Jahr bringen. Ebenso soll der Sparerfreibetrag von bisher 1.550 Euro – die Steuerfreiheit für bestimmte Zinseinkünfte – auf 1.370 Euro im Jahr 2006 gesenkt werden. Mehreinnahme für den Staat: 240 Millionen Euro jährlich. Den Beschäftigten wird missfallen, dass ihr Arbeitnehmerpauschbetrag, den sie bisher von der Steuer abziehen konnten, von 1.044 auf 920 Euro reduziert wird. Aber auch Unternehmen müssen etwas beitragen: So soll die so genannte Halbjahres-Abschreibung in einem Schritt komplett abgeschafft werden. Mehreinnahme: 2,3 Milliarden Euro pro Jahr. Findet das Konzept die Zustimmung der Bundesregierung und der anderen Länder, werden Subventionen und Finanzhilfen 2006 etwa 10,5 Milliarden Euro weniger kosten als heute.

Koch gab sich gestern sicher, dass sein Konzept gar nicht abgelehnt werden könne: „Es wird Sogwirkung entfalten.“ Für den Vorschlag spreche, dass er die Untiefen der Gerechtigkeitsdiskussion umschiffe. Weil fast alle betroffen seien, könne niemand mit dem Verweis auf Benachteiligung die Kürzung der jeweiligen Subvention torpedieren. Von den insgesamt 127 Milliarden Euro, die Koch und Steinbrück als jährliche Subvention definieren, haben sie rund 44 Milliarden außen vor gelassen. Dies hat pragmatische Gründe. Die beiden machen zwar auch den „grundsätzlichen Vorschlag“, den halben Mehrwertsteuersatz von heute sieben auf acht Prozent zu erhöhen, haben ihn aber nicht in die Streichliste aufgenommen. „Ich will keine Diskussion über Steuererhöhungen führen“, sagte Koch. Ideologisch zeigen sich die beiden Ministerpräsidenten damit flexibel. Was sie als fragwürdige Steuererhöhung (Mehrwertsteuer) definieren und was als sinnvolle Subventionskürzung (Eigenheimzulage), unterscheiden sie anhand des zu erwartenden Widerstandes.

Weitgehend einig – wenngleich nicht völlig – waren sich die beiden Pragmatiker hinsichtlich der politischen Folgen, die ihre Konzept mit sich bringt. „Das ist ein Modell“, sagte Peer Steinbrück. Nun stünden SPD und Union unter weiterem Einigungsdruck, zum Beispiel bei der Rente. Außerdem betonten beide, dass der Subventionsabbau der „Konsolidierung der Staatsfinanzen“ diene und nicht der Finanzierung des Vorziehens der Steuerreform.

An diesem Punkt endete die Gemeinsamkeit allerdings. Während Peer Steinbrück sich für die Steuerreform von Hans Eichel einsetzte, orakelte Roland Koch nur, Steuersenkungen würden „prinzipiell leichter“, wenn man Subventionen reduziere, was auch immer das heißt.