Kakao und Nägel

Wenn Übersprungshandlungen töten könnten: Zur Eröffnung der Schauspielsaison in Bremen inszeniert Konstanze Lauterbach Hans Henny Jahnns klotzige „Medea“

Eine wird schwarz gemacht. Mit vollen Händen schmiert sich Julia Wieninger das Kakao-Pulver ins Gesicht, dass es nur so staubt und ein herberes Aroma auch auf die Ränge niedergeht. So wird Wieninger in Bremen zur Medea, der Titelfigur von Hans Henny Jahnns neo-antiker Tragödie, in einem einzigen monströsen Aufzug, gebaut aus endlosen Sätzen. 1927 in Hamburg erstmals gezeigt, dürfte sie kaum mehr als ein Dutzend Mal aufgeführt worden sein. Jahnn scheint für die Bühne ein hoffnungsloser Fall. Doch das Bremer Theater zeigt Medea als erste Schauspielpremiere der Saison. Eine mutige Entscheidung und eine eindrucksvolle Aufführung.

Kindisch sind die Mittel, die Regisseurin Konstanze Lauterbach ihren Schauspielern vorgibt. Kindisch, das heißt brachial, unmittelbar und wirkungsmächtig. Besser ist den Dialogen kaum beizukommen als mit trotzig-zügellosen Übersprungshandlungen. Lauterbach lässt die Ausbrüche und das Leiden und die Sperrigkeiten in Gesten des Schwachsinns verkörpern, sinnlos wie Gewalt. Sie treffen den Anderen als Strafe. Das ist Magie: Medea schluckt Stahlnägel und würgt sie wieder aus – vielleicht wird Jason dran krepieren. Den Boten blenden, um den König zu demütigen. Das bezaubernde Hochzeitskleid der Nebenbuhlerin vermachen: Sie verendet.

Licht: Das finstere Drama spielt auf einer taghellen Bühne. Altweiß reflektieren die Wände, rüde tapeziert mit Blättern eines Abreißkalenders. Quer durch den Raum ein wuchtig gebogenes Holzgestell: Die skelettierte Argo. Mit diesem Schiff war Jason einst ausgefahren, um das Goldene Vlies, das Unsterblichkeit verleiht, im wilden Kolchis zu erobern. Medea half ihm aus Liebe: Hätte sie nicht den eigenen Bruder getötet, wäre Jason mit leeren Händen zurückgekehrt. Jetzt ist sein Körper dem Altern entrückt, ihrer nicht. Dafür ist ihre Leidenschaft unsterblich, seine erloschen.

Lauterbach, seit 2001 fest am Deutschen Theater Berlin, hat sich durch ihren musikalischen Regiestil voll trivialer Bilder, deren offenbarer Kitsch doch irgendwie betäubt wirkt, einen Namen gemacht. Das funktioniert desto besser, je sperriger der Text ist. Der macht alle zu Unschuldigen: Matthias Kleinert spielt König Kreon als Mr. Zahnpasta, der die eigene zivilisierte Brutalität vor lauter Selbstgewissheit auch dann nicht bemerken könnte, wenn er wollte. Und Torsten Ranfts Jason ist halt ein lieber Kerl, der sich ja auch lieber moralisch besser sähe. Aber die Königstochter ist sexy und die Heirat mit ihr bedeutet gesellschaftlichen Aufstieg. Außerdem ist seine Frau Medea eine Barbarin und er kann sich einfach nicht zwingen sie noch schön zu finden – mit dem Kakao im Gesicht.

Wie der Text, so die Inszenierung: Stark ist alles nur unmittelbar erlebt. Sobald die wuchtigen Riesensyntagmen in einfache Sprache übersetzt und die peinigenden Gesten aus der Ferne betrachtet werden, schlägt alles in Peinlichkeit um. Eine extreme Gratwanderung. Die Höhe des Risikos bestimmt den Verdienst der Aufführung, dass sie nicht abstürzt, ihre Qualität.Benno Schirrmeister

nächste Vorstellungen: 3., 4., 12., 16. und 23.10., 12. und 23.11., jeweils 20 Uhr, 16.11., 15.30 Uhr; Schauspielhaus Bremen