Das Trauma Ausländerbehörde

„Geduldet“ in Berlin – Leben im Wartesaal der Bürokratie. Obwohl traumatisierte Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgegenden einen Anspruch haben, hier bleiben zu dürfen, werden viele nur monateweise geduldet – oder schließlich ganz abgeschoben

von HEIKE KLEFFNER

Die Ausländerbehörde gerät derzeit wöchentlich in die Schlagzeilen. Umstritten ist insbesondere der Umgang mit traumatisierten Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die Bilder von gewaltsamen ethnischen Säuberungen, die vor über zehn Jahren in Bosnien begannen und zuletzt mit dem Nato-Krieg gegen Jugoslawien 1999 die Öffentlichkeit bewegten, sind längst verblasst. Doch viele derer, die im Laufe der letzten zehn Jahre aus Bosnien, Jugoslawien und dem Kosovo nach Deutschland flohen, können die Gewalterfahrungen nicht vergessen. Sie leiden unter dem so genannten Posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS). Über 40 Einzelsymptome, darunter Ohnmacht, Albträume und so genannte Flash-backs“ sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) charakteristisch für die Diagnose eines schweren Traumas. Erschwert wird eine Diagnose, weil viele Betroffene aus Scham über ihre Erfahrungen schweigen, sagt Monika Basqué, Psychologin und Menschenrechtsbeauftragte der Berliner Psychotherapeutenkammer. Viele suchten lieber zunächst mit körperlichen Symptomen einen Hausarzt auf, bevor sie zum Psychotherapeuten gingen.

In den letzten zwei Jahren hat die Berliner Innenverwaltung mehrere Weisungen erlassen, wonach traumatisierte Flüchtlinge aus Bosnien, dem Kosovo und sogenannte „Doppelstaatler“ – Menschen mit bosnischem und kroatischem Pass – anstelle von kurzfristigen Duldungen längerfristige Aufenthaltsbefugnisse erhalten sollen. Zudem wurde aufgrund negativer Erfahrungen mit polizeiärztlichen Untersuchungen eine so genannte Übergangsliste von qualifizierten psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten erstellt. Deren Gutachten sollen für Ausländerbehörde und Gericht gleichermaßen als neutral und fachlich qualifiziert gelten, um den Vorwurf so genannter Gefälligkeitsgutachten auszuschließen.

Dennoch haben lediglich 755 „Traumatisierte“ laut Innenverwaltung seit April 2001 eine Aufenthaltsbefugnis erhalten. Im gleichen Zeitraum wurden die Anträge von 1.981 Betroffenen abgelehnt. Sie leben „geduldet“ in Berlin – aber mit der ständigen Angst vor Abschiebung.

„Eine posttraumatische Belastungsstörung kann gegenüber Experten nicht über einen längeren Zeitraum simuliert werden“, ist sich Basqué sicher. Doch bürokratische Haarspaltereien tragen dieser Erkenntnis keine Rechnung.

So verlangt die Ausländerbehörde seit Anfang des Jahres, dass im Attest PTBS in der Rubrik „Diagnose“ genannt werden muss. Steht dieser Befund lediglich im Fließtext und die Diagnose lautet „Depression“, wird eine Aufenthaltsbefugnis verweigert.

Zunehmend wirft die Berliner Ausländerbehörde Flüchtlingen zudem „nachweisliche Täuschung“ in Bezug auf Vergewaltigung, Lagerhaft und Folter vor – obwohl „Listen-Gutachter“ die Existenz traumatischer Erlebnisse attestieren.

Bereits seit drei Monaten verhandeln Innensenat, Experten und Flüchtlingsorganisationen über Lösungen. Bislang vergeblich.

Die taz recherchierte exemplarische Fälle, in denen die Ausländerbehörde entgegen den Weisungen für Kriegsflüchtlinge entschied. Wir dokumentieren nachfolgend einige dieser Schicksale, die Namen der Betroffenen wurden von der Redaktion geändert.