Geduldet, aber nicht gewollt : Sanela Talic, Braslava Filipovic und die anderen sind nur einige Fälle. In ihrer Heimat wurden sie unterdrückt, verhaftet oder gefoltert. Ihre Geschichten stehen für viele
Fall 1 - Mira Batinic: Die Bosnierin wurde in Einzelhaft schwer misshandelt. Sie ist noch bis Februar 2004 geduldet
Die damals 24-jährige Mira Batinic wird in Bjeljina/Bosnien von Milizen mehrere Tage als Geisel genommen und in Einzelhaft schwer misshandelt. Im Juli 1992 gelingt ihr die Flucht nach Deutschland. Seit ihrer Haft reagiert sie auf Stress mit Ohnmachtsanfällen.
Die verheiratete Mutter einer Tochter muss in Berlin mehrfach stationär behandelt werden. Ein ärztliches Attest vom Juli 1999 bescheinigt Mira Batinic, dass sie „durch Ereignisse in ihrem Heimatland und in Folge kriegerischer Auseinandersetzungen“ traumatisiert sei. Die Ausländerbehörde bemängelt jedoch, dass in dem Attest nicht ausdrücklich von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) die Rede ist.
Diese Diagnose findet sich wörtlich erst in einem Attest einer Psychologin vom Februar 2000. Nun argumentiert die Ausländerbehörde, das Attest habe keine Relevanz. Der Stichtag zur Einreichung der PTBS-Diagnose sei der 1. Januar 2000 gewesen. Im November 2002 bestätigt die eine Listengutachterin, dass Mira Batinic an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung leidet.
Die Ausländerbehörde verweigert der suizidgefährdeten 34-jährigen Frau eine Aufenthaltsbefugnis. Mira Batinic ist noch bis Februar 2004 in Berlin geduldet.
Fall 2
Nachdem bei einem Massaker in Srebrenica Vater, Brüder und andere Männer der Familie ermordet werden, flüchtet die heute 27-jährige Sanela Talic 1996 nach Berlin. Ihr Ehemann Harun leidet an der seltenen Morbus-Crohn-Krankheit. Er lag während des Kriegs in einem Krankenhaus, das beschossen wurde. In Harun Talic’ Nachbarzimmer starben alle Patienten.
Die Ausländerbehörde verweigert dem Ehepaar und der in Berlin geborenen fünfjährigen Tochter eine Aufenthaltsbefugnis. Begründung: Der Vater habe sich zu spät um Atteste und Behandlung bemüht. Atteste, die dem Vater Harun Talic eine Traumatisierung bescheinigen, liegen erst nach dem Stichtag vor.
Jetzt hat das Oberverwaltungsgericht die Behörde zu Nachforschungen aufgefordert. Die Richter wollen wissen, ob Harun Talic in Jugoslawien ausreichend medizinisch versorgt werden kann.
Derzeit muss die Familie Talic alle paar Monate bei der Ausländerbehörde vorsprechen, um um ein paar Monate mehr Duldung zu bitten. Sanela Talic erwartet im Oktober das zweite Kind.
Fall 3
Dejana Begic überlebt ein Jahr lang in einem Gefangenlager bei Bjeljina, Bosnien. Ihr Ehemann ist seit Kriegsbeginn verschollen. Bevor Begic 1995 die Flucht gelingt, lebt sie drei Jahre mit ihrem Sohn in einem Keller. In Berlin wird sie seit 1995 von einem Psychiater versorgt. In einem Attest stellt ein Psychiater 1997 fest, Begic leide aufgrund ihrer Haft an posttraumatischen Belastungsstörungen.
Das Attest wird im gleichen Jahr bei der Ausländerbehörde eingereicht. Bis heute erhält Begic keine Aufenthaltsbefugnis. „PTSB“ sei lediglich im Fließtext des Attest festgestellt worden und nicht unter der Rubrik „Diagnose“, kritisiert die Behörde. Alle sechs Monate muss Dejana Begic eine neue Duldung beantragen.
Fall 4
Izet Pelic stand in Zvornik, Bosnien, zunächst unter Hausarrest. Nach seiner Verhaftung wird er über Tage gefoltert. Er wird entlassen, als er einem Offizier sein Haus überschreibt. Im Frühjahr 1993 kann der ehemals erfolgreiche Geschäftsmann nach Deutschland fliehen. Im Dezember 1998 diagnostiziert der behandelnde Arzt eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Suizidgedanken. Pelic, Vater von drei Kindern, leidet unter anderem an Gedächtnisstörungen. Er verliert das für die Stichtagsregelung der Ausländerbehörde entscheidende Attest. Obwohl es später nachgereicht und im Januar 2001 die Diagnose bestätigt wird, erhält Pelic von der Behörde nur ein- bis dreimonatige Duldungen.
Fall 5
Zwei Wochen lang lebt Braslava Filipovic mit 35 Menschen in Kitec, Bosnien, auf 20 Quadratmetern in einem Keller. Die Kroatin wird von einem bosnischen Nachbarn geschützt. Nach ihren Angaben werden in diesen zwei Wochen mehr als 100 kroatische Frauen und Kinder im Umkreis getötet. Im Herbst 1995 gelingt Filipovic mit ihrer schwerbehinderten Mutter die Flucht nach Deutschland. Ein Psychiater stellt erstmals im Mai 1997 eine posttraumatische Belastungsstörung fest. Doch die für die Ausländerbehörde entscheidende Diagnose erfolgt erst ein Jahr nach dem Stichtag. Deshalb werden Mutter und Tochter lediglich bis Oktober geduldet.
Fall 6
Im September 1999 bescheinigt ein Berliner Arzt dem damals 35-jährigen Sadudin Semic aus Zvornik, Bosnien, dass er aufgrund von Foltererfahrungen bei mehreren Gefängnisaufenthalten unter anderem an einem „Internierungssyndrom und Depressivität“ leidet.
Die Ausländerbehörde verweigert eine Aufenthaltsbefugnis, weil in dem Attest nicht explizit eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wird. Diese Diagnose erfolgt im Juli 2001 mit dem Zusatz, dass bei dem Vater von zwei Kindern eine suizidale Gefährdung vorliegt.
Fall 7
Rusmir Mandic hat als Wehrpflichtiger auf bosnischer Seite gekämpft. Eine Granate verletzt ihn 1995 schwer. Im September 1995 kommt der Vater von zwei Kindern in Deutschland an. Er ist seit sechs Jahren in psychiatrischer Behandlung. Im Mai 2001 beantragt Mandic eine Aufenthaltsbefugnis. Die Ausländerbehörde bemängelt die Atteste, weil sie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nicht in der gewünschten Form bescheinigen. Die Behörde fordert weitere Belege und akzeptiert die Antworten des 50-Jährigen nicht. Eine Gutachterin bestätigt im Dezember 2002 die PTBS. Bislang wird Rusmir Mandic in Berlin lediglich geduldet.
Fall 8
Nina Halovic erlebt zwei Jahre lang mit ihrer Tochter in der Region Bjeljina schwere Repressalien. Auch im Städtchen Janja werden „nichtserbische“ Bewohner gejagt, gequält und ermordet. Nina Halovic ist heute 51 Jahre alt, seit 1999 hört sie Stimmen. Mehre Atteste belegen posttraumatische Belastungsstörungen. Anfang Januar 2002 stellt die Ausländerbehörde deshalb auch eine Aufenthaltsbefugnis in Aussicht. Fünf Monate später wird die Ankündigung zurückgezogen.
Fall 9 -Amet Budew: Trotz einer Zusage vom Innensenator wird er nach Russland abgeschoben – und dort gefoltert
Am 26. April 2002 wird der tschetschenische Flüchtling Amet Budew nach Russland abgeschoben, entgegen einer Zusage von Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Nach Ankunft in Moskau wird der 26-jährige Sportlehrer, dessen Bruder in Deutschland Asyl erhalten hat, von Beamten des Inlandssicherheitsdienstes FSB zusammengeschlagen. Dann muss er nach Inguschetien fliegen. Auch dort erwarten ihn FSB-Beamte. Sie zerreißen seinen Pass und bringen ihn in ein Gefängnis. Budew wird sechs Tage lang gefoltert, muss stundenlang in kaltem Wasser stehen. Bei Verhören wird ihm eine Kapuze übergezogen, er wird geschlagen.
Nach der Entlassung taucht er unter und flieht erneut nach Berlin. Im Sommer 2003 wird er verhaftet und mit der Begründung, er sei über das „sichere Drittland“ Polen nach Deutschland eingereist, nach Polen zurückgebracht. Dort wird er interniert.
Gemäß der in Polen üblichen Praxis wird Budew am 28. September nach Russland abgeschoben – trotz Intervention von amnesty international. Einen Aufenthaltsort kann seine Anwältin nicht in Erfahrung bringen.
Fall 10 - Maria Vinokic: Sie kam als Deutsche zu Welt, heute droht ihr die Berliner Ausländerbehörde mit Abschiebung
Als Maria Vinokic im Januar 1999 geboren wird, macht sich die Mutter keine Gedanken über den Aufenthaltsstatus ihres Kindes. Die Chilenin ist mit einem Deutschen verheiratet und hat eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Aufgrund der Ehe gilt Maria als Deutsche.
Das ändert sich, als die Mutter von ihrem deutschen Ehemann geschieden wird, der die Vaterschaft für Maria anficht. Nun erkennt der neue chilenische Lebensgefährte der Mutter das Mädchen als Tochter an.
Damit verliert die vierjährige ihre deutsche Staatsbürgerschaft, für die Behörden ist sie jetzt eine „Staatenlose“. Sie müsste mindestens ein Jahr in Chile leben, um die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern zu erhalten.
Die Berliner Ausländerbehörde droht mit Abschiebung. Maria könne keinen Pass vorlegen, deswegen könne sie im Gegensatz zur Mutter auch keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Die Behörde schlägt vor, die Mutter solle ihr Kind für eine Weile nach Chile schicken und dort naturali
Natasa Halilovic hat in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof ausgesagt. Sie berichtete über Massaker in ihrem Heimatort im Jahr 1992. Als Zeugin in einem Kriegsverbrecherprozess erhält sie von der Ausländerbehörde auch eine Aufenthaltsbefugnis. Ihr Ehemann und die beiden Kinder werden jedoch lediglich geduldet. Ihr Mann hat mehrere Razzien von Milizen überlebt. Er flieht vor dem Armeedienst. Zu Fuß legt er 150 Kilometer zu einem Auffanglager bei Sarajevo zurück. Im November 1993 flieht er von Kroatien nach Deutschland. 1998 beginnt er eine Behandlung bei einem Facharzt für Psychiatrie in Berlin. Dann wechselt er zu einem anderen Arzt, der muttersprachlich Serbokroatisch spricht. Die Ausländerbehörde sieht in dem Arztwechsel eine Verletzung der Stichtagsregelung. In einem Attest im Februar 2000 werden bei ihm „psychische Dekompensation“ sowie PTBS festgestellt. Eine „gutachterliche Stellungnahme“ im Jahr 2003 bestätigt diese Diagnose. Nachdem er im Oktober 2000 eine Aufenthaltsbefugnis beantragt hat, erhält er zweieinhalb Jahre später einen Ablehnungsbescheid der Ausländerbehörde. Er bestreite seinen Lebensunterhalt nicht allein und erfülle die Stichtagsregelung nicht, wirft ihm die Behörde vor. Da der Mann mit kurzfristigen Duldungen jedoch keine Arbeitserlaubnis erhält, ist die Familie auf Sozialhilfe angewiesen.
Fall 12
Die Lehrerin Nina Bllaci heiratet im Kosovo 1993 ihren als politisch aktiv bekannten Ehemann, der immer wieder untertauchen muss. Als Bllaci schwanger ist, wird sie fünfmal zu „Befragungen“ über den Aufenthaltsort ihres Mannes vorgeladen, dabei zielen Milizionäre mit Maschinenpistolen auf ihren Bauch. Sie flüchtet im November 1993 nach Deutschland. 1999 erfährt sie, dass zwei Cousins bei einem Massaker in Kotlina ermordet wurden. Dadurch kommt es zu einer Retraumatisierung. Ärzte attestieren der 39-jährigen Kososvo-Albanerin ab April 2000 mehrfach posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Die Diagnose wird von einer Gutachterin bestätigt. Die Ausländerbehörde glaubt Bllaci nicht und bezweifelt auch die politische Verfolgung des Ehemannes. Ein Abschiebeversuch scheitert am 4. August 2003. Bllaci befindet sich nun im Asylverfahren.
Fall 13
Als Lastwagenfahrer einer staatlichen Baufirma wird Idris Tobic, der sowohl die bosnische als auch die jugoslawische Staatsbürgerschaft hatte und in der Region Sandžak gelebt hatte, immer wieder Polizeikontrollen ausgesetzt. Seine Angst, dass ihm dabei Waffen ins Auto gelegt werden könnten, führt zu Panikanfällen. Tobic erleidet einen Zusammenbruch und geht nicht mehr zur Arbeit. Nachdem er einen Einberufungsbescheid erhalten hat und Polizisten sein Haus durchsuchen, flieht er im Januar 1994 nach Deutschland. Ein erstes Attest bescheinigt dem 48-Jährigen 1995 „Depressionen mit psychosomatischen Störungen und psychiatrischer Dekompensation“. Weil das Attest dem Sozialamt vorgelegt wird, wird es als nicht relevant für seinen Aufenthaltsstatus angesehen. Ein Gutachten bestätigt im Januar 2003 eine posttraumatische Belastungsstörung. Der Vater von vier Töchtern erhält von der Ausländerbehörde jedoch lediglich eine sechsmonatige Duldung.
Fall 14
Im April 1999 wurde Aziz Poradeci aus dem Kosovo aus seiner Eigentumswohnung in Belgrad vertrieben. Er war zuvor von einem Arbeitskollegen, der seine albanische Herkunft kannte, niedergeschlagen worden. Der heute 36-Jährige verlor dabei seinen Geruchs- und Geschmackssinn und leidet an den Folgen der schweren Kopfverletzung. Hausbewohner verweigerten ihm den Zutritt zum Luftschutzkeller, während die Nato Belgrad bombardierte. Nach dreimonatiger Flucht trifft er am 24. Juli 1999 in Berlin ein. Im Januar 2003 wird bei ihm eine „andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung“ festgestellt. Die Diagnose wird durch ein Gutachten bestätigt. Auch sein zwei Jahre älterer Bruder befindet sich wegen posttraumatischer Belastungsstörung in andauernder psychiatrischer Behandlung. Nach seiner Ankunft in Deutschland im März 1998 versuchte er sich das Leben zu nehmen, weil er die psychischen Folgen der Folter nicht mehr aushielt. Trotz entsprechender Gutachten werden die Brüder in Berlin lediglich geduldet.
Fall 15
Gemeinsam mit ihrer Schwester floh Alma Jahic aus Bijeljina, Bosnien, 1993 nach Deutschland. Ärzte bescheinigen beiden posttraumatische Belastungsstörungen. Die Schwester bekam aufgrund der Atteste eine Aufenthaltsbefugnis, Jahic erhält seit September 2002 lediglich eine Grenzübertrittsbescheinigung. Die Ausländerbehörde begründet die Entscheidung damit, dass Alma Jahic erst seit Mai 2000 – und damit nach dem Stichtag – fachärztlich behandelt werde, während ihre Schwester schon vor dem 1. Januar 2000 ärztliche Hilfe gesucht hatte.
Fall 16
Im Frühjahr 1998 wurden in der Region Romaje bei Prizren rund einhundert Frauen in einer Schule von Milizen festgehalten. Vergewaltigungen waren hier an der Tagesordnung. Auch die damals 27-jährige Mirlinda Demaci gehörte zu den Gefangenen. Sie kann bis heute nicht detailliert über ihre Erlebnisse sprechen. Im Juni 1999 kam sie ach Deutschland.
Ihr Ehemann war schon im Januar 1998 gekommen. Er hatte sich monatelang in Wäldern verstecken müssen. Ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie stellt in einem Attest vom Januar 2002 bei der Frau eine „Posttraumatische Belastungsstörung mit hohem Schweregrad“ fest. Die Ausländerbehörde erteilt dem Ehepaar dennoch nur kurze Duldungen, weil im Attest des Ehemannes die Inhaftierung der Frau nicht wieder gegeben wird.
Fall 17
Weil er sich als Reservist der Einberufung zum Bosnieneinsatz entzogen hatte, wurde der heute 43-jährige Eri Saraci misshandelt. Polizisten in Uniform und Zivil drangen 1995 in seinen Laden in Planej bei Prizren ein. Die meisten Schläge erhielt er, als ihn ein Zivilist in den ersten Stock seines Hauses außer Sichtweise der drei Kleinkinder brachte und ihn in den Kopf, Nacken und Nieren schlug. Ein uniformierter Polizist beendet die Misshandlungen. Der Mann flüchtete daraufhin im Oktober 1995 nach Deutschland. Er hat noch immer Schmerzen an den Stellen, wo er geschlagen wurde. Seit Mai 1999 wird er vom einem Psychiater behandelt, der im September 1999 erstmals eine posttraumatische Belastungsstörung attestierte. Das Attest wird beim Sozialamt eingereicht. Deshalb erteilt die Ausländernur dreimonatige Duldungen.