Mit Strömungsmechanik und Spucke

Roger Grundmann, eigentlich Professor für Luft- und Raumfahrttechnik, hat ganz nebenbei das Fagott revolutioniert

Sage keiner, die Raumfahrt sei ein bloßes Prestigeprojekt! Mittlerweile zeitigt sie sogar bahnbrechende Einflüsse auf die schönen Künste. Auf ein so heikles Musikinstrument wie das Fagott beispielsweise. „Bringt denn der Musiker alle diese Töne wirklich mit dem Mund hervor?“, soll eine Dame einst Johannes Brahms gefragt haben. „Wir wollen’s hoffen“, antwortete der.

Eineinhalb Jahrhunderte später versprechen Forschungen aus dem Institut für Luft- und Raumfahrttechnik der TU Dresden allen meist etwas mitleidig angesehenen Fagottisten entscheidende Spielerleichterungen. Und einfachere Wege zum reinen und vor allem hohen Ton. Luftwege nämlich. Jenes schweine-hakenartig gebogene Anblasrohr zwischen Mundstück und Korpus erschwert das Spiel unnötig, hat Roger Grundmann herausgefunden. Der Leiter des Raumfahrtinstituts weiß das aus eigener Erfahrung. Vor zweieinhalb Jahren erfüllte sich der mittlerweile 60-jährige Hobbymusiker einen Kindheitstraum. „Bei den sonoren Tönen des Fagotts wackelte die Tafel in der Schule“, erinnert er sich. Nach Bass und Sousaphon eignete er sich autodidaktisch das große Holzblasinstrument an, kaufte sich gar noch ein tiefes Kontrafagott. Eher zufällig stieß er beim Reparaturversuch eines so genannten S-Bogens auf Klangunterschiede. Ein gerade gebogenes Rohr mit einfacher Krümmung spielte sich leichter. Das weckte die Neugier des Strömungsmechanikers. Auf dieses Gebiet hat sich Grundmann nach seinem Studium an der TU Berlin spezialisiert. Seit seiner Promotion 1972 ist er in verschiedenen Einrichtungen der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt DLR tätig gewesen, vor allem auf dem Gebiet der Luftstrahlantriebe. 1993 nahm er einen Ruf nach Dresden an. Nun winkt ihm in Sachen Fagottforschung das erste Patent. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG hat einem Antrag auf Projektförderung zugestimmt. Erst der dritte zu musikalischen Fragen in 30 Jahren, hat auch Grundmann zu seiner Überraschung erfahren. Es geht weniger um die relativ kleine Zielgruppe der Fagottisten als um Grundlagenforschung.

So gibt es jetzt am Dresdner Institut für Luft- und Raumfahrt einen Fagottprüfstand. Gebastelt wird an asymmetrischen Luftverwirbelungen und dem bis zu 30 Prozent geringeren Reibungsbeiwert, den ein lediglich einfach gebogener Bogen erreicht. Eine Frequenzanalyse wertet das Klangergebnis aus. Was bringt die Wissenschaft im Musikinstrumentenbau, wo bleiben handwerkliches Genie und Intuition? „Ich habe versucht, zumindest einen Parameter zu objektivieren“, sagt Roger Grundmann. Klangurteile von Profis seien immer subjektiv. Immerhin, Fagottisten der Landesbühne und der Staatskapelle hätten mit dem neuen Bogen „das hohe f ohne roten Kopf geblasen“, während ihnen sonst dabei fast die Adern platzten. Überraschung und spontanes Lob für die Neuerung war von ihnen zu hören.

Mittlerweile sitzen zwei Diplomanden ebenfalls am Thema, zwei Stellen für Doktoranden sind beantragt. Roger Grundmann geht es um mehr Ausstrahlung seiner strömungstechnischen Forschungen in andere Bereiche. Nächste musikalische Objekte könnten das Horn und andere Blechblasinstrumente sein, wo Luft und Spucke ebenfalls um viele Rohrecken kurven müssen. MICHAEL BARTSCH