WAS WILL UNS ANGELA MERKEL SAGEN? EIN BEWERBUNGSTEST
: Gefühlspatriotin, „overdressed“

Für welchen Job hat Angela Merkel sich gestern mit ihrer Rede eigentlich beworben? Zuerst der äußere Eindruck (nein, nicht ihr Kleid): Diese Frau muss Bundespräsidentin werden. Das Deutsche Historische Museum als Location, der 3. Oktober als Anlass, „Quo Vadis Deutschland?“ als Titel – das verriet den Anspruch, endlich einmal über die tristen Runden der parlamentarischen Routine hinaus Gehör zu finden. Doch wie das manchmal so ist, wenn Bewerber sich ganz besonders zurechtmachen, sind sie am Ende overdressed. Schon des präsidialen Ambientes wegen verfehlte ihr Auftritt, die eigentliche ersehnte Botschaft in den Köpfen zu verankern: Diese Frau kann Kanzlerin sein.

Was sie bei der Form übertrieb, ließ sie beim Inhalt vermissen – den großen Anspruch. Die politischen Passagen ihrer Rede legten einen Schluss nahe: Diese Frau will Vizekanzlerin werden. Über weite Strecken gebärdete sich die Oppositionsführerin, als verteidige sie ein Bündnis mit Gerhard Schröder, das es so noch lange nicht gibt. Dem Kanzler stellte sie Konsens und Kooperation bei nahezu allen Fragen der Agenda 2010 in Aussicht. Mit Blick auf den Widerstand in den eigenen Reihen tat sie, was die Juniorpartnerin in einer großen Koalition eben tun muss: beschwichtigen, vertrösten und dabei fleißig an Deutschland denken.

Mag schon sein, dass die CDU-Chefin mit ihrer Rede gerne am Kanzler gemessen worden wäre. Umso deutlicher fiel auf, was ihr unverändert fehlt: die Härte, mit der Schröder sich derzeit bei Freund wie Feind unbeliebt macht. Zwar geht bei Schröders Hasardeurs-Ritt Entschlossenheit zunehmend in eine Mischung aus Starrsinn und Leichtsinn über. Doch was der Sozialdemokrat vielleicht zu viel hat, hat die Christdemokratin zu wenig: die Bereitschaft zu pokern. Merkel schenkt Schröder den Konsens, statt ihn sich teuer abhandeln zu lassen. Damit hat sie sich nicht einmal für den Job empfohlen, den sie bereits hat: Oppositionsführerin.

Kann diese Frau Kanzlerin werden? Soll diese Frau Bundespräsidentin werden? Nein, ihre Rede zum Tag der Deutschen Einheit qualifiziert sie für eine andere Aufgabe: Angela Merkel muss zu Friede Springer wechseln. Nur die Gefühlspatriotin an der Spitze des Springer Verlags vermag zu schätzen, wie schwärmerisch Merkel gestern Deutschlands Größe, Zukunft und Aufgabe beschrieb. „Wo stehst du, Deutschland, warum stehst du, Deutschland?“, bangte sie dann. Damit Deutschland mehr davon hört, sollte das Verlagshaus ihr eine Kolumne spendieren – und Merkel neue Aufgaben übernehmen. PATRIK SCHWARZ