Mit NK 603 endet das Moratorium

In Brüssel wird heute ein Genmais begutachtet. Er dürfte die erste modifizierte Pflanze sein, die nach fünf Jahren Genehmigungspause zugelassen wird

von CHRISTIAN RATH

Das Ende des landwirtschaftlichen Gentech-Moratoriums in der EU ist in Sicht. Die erste genetisch veränderte Pflanze, die nach fünf Jahren neu zugelassen wird, ist voraussichtlich ein herbizidresistenter Mais. Er trägt den schnöden Namen NK 603 und wurde von der US-Firma Monsanto entwickelt.

Heute tritt bei der neuen EU-Lebensmittelbehörde in Brüssel das Gremium für gentechnisch veränderte Organismen (GVO-Gremium) zusammen. Es wird voraussichtlich die Zulassung von NK 603 empfehlen. Die endgültige Zulassung erfolgt dann durch Kommission und Mitgliedsstaaten. „Das kann dann ganz schnell gehen“, glaubt Detlev Bartsch vom Robert-Koch-Institut, einer von drei Deutschen unter den 21 Wissenschaftlern in diesem Gremium.

Dass es schnell gehen soll, sieht man auch daran, dass das GVO-Gremium zwar bereits seit Mai über NK 603 berät, dabei aber ein Zulassungsverfahren anwendet, das es eigentlich noch gar nicht gibt. Die neue EU-Lebens- und Futtermittelverordnung – auch bekannt als Food-and Feed-Verordnung – ist zwar bereits beschlossen, soll aber erst Mitte Oktober im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden. So engagiert wird selten ein neuer Rechtsakt umgesetzt.

18 Zulassungen seit 1992

NK 603 ist aber nicht der erste Gen-Organismus, der in Europa zugelassen wird. Von 1992 bis Oktober 1998 wurden 18 Anträge positiv beschieden. Dabei ging es viermal um Mais und Raps, dreimal um Nelken und Impfstoffe (unter anderem gegen Tollwut) und je einmal um Tabak, Soja, Chicoree sowie ein Testkit zum Nachweis von Antibiotika in Milch. Die Pflanzen wurden überwiegend gegen bestimmte Pflanzenschutzmittel unempfindlich gemacht.

Viele Zulassungen konnten nach Darstellung des Berliner Robert-Koch-Instituts aber in der Praxis nicht genutzt werden, weil dem genveränderten Saatgut noch die Sortenzulassung fehlt und diese nach dem Moratorium nicht mehr erteilt wurde. Im wesentlichen wird derzeit auf europäischen Feldern lediglich ein so genannter Bt-Mais angebaut, der durch eine Genveränderungen gegen Schädlinge geschützt ist – und auch dieser Anbau findet ausschließlich in Spanien statt. Andere Anträge bezogen sich von vornherein nur auf die Züchtung oder auf den Import von Pflanzen aus dem Ausland. Hier ist das wichtigste Produkt eine herbizidresistente Sojapflanze, die auch tatsächlich in größeren Mengen nach Europa eingeführt und überwiegend zu Futtermitteln verarbeitet wird.

Spanischer Mais und Import-Soja sind vom Moratorium nicht getroffen. Blockiert war in den letzten Jahren nur die Zulassung neuer Gentech-Pflanzen und -Organismen. Derzeit liegen nach einer RKI-Aufstellung 22 Anträge auf Halde. Wieder geht es fast ausschließlich um die Anbaubedindungen, also um Herbizid- und Insektenresistenz der neuen Pflanzen. Lebensmittel mit veränderten Inhaltsstoffen, etwa mehr Vitaminen oder weniger Fett, stehen derzeit nicht zur Diskussion.

Dass seit 1998 alle Zulassungsanträge unbearbeitet blieben, war eine Reaktion auf die geradezu feindselige Haltung in fast ganz Europa, wurde aber nie formell beschlossen. Ein derartiger Beschluss wäre auch unzulässig, schließlich haben die Firmen einen Anspruch darauf, dass ihr Antrag zumindest beschieden wird – positiv oder negativ. EU-Umwelt-Kommission Margot Wallström spricht daher von einem „De-Facto-Moratorium“.

Natürlich hätten betroffene Firmen mit guten Erfolgschancen eine Untätigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof erheben können. Aber das hätte wohl nur Öl ins Feuer gegossen.

Verändert wurden in den letzten fünf Jahren vor allem die Zulassungsverfahren. Zunächst wurde im Jahr 2000 die Freisetzungs-Richtlinie verschärft. Anbau- und Importgenehmigungen gelten nicht mehr unbefristet, sondern nur noch zehn Jahre. Und die Mitgliedstaaten können die Kommissions-Zulassung einer Gentech-Pflanze mit qualifizierter Mehrheit verhindern – während bisher Einstimmigkeit nötig war, was aber nie erreicht wurde.

Kennzeichnung ab 2004

In diesem Sommer schließlich wurde in der Food-and-Feed-Verordnung eine sehr weitgehende Kennzeichnung von Lebensmitteln beschlossen, die selbst genmodifiziert sind oder aus genmodifizierten Produkten hergestellt werden. Die Kennzeichnungspflicht wird in den Läden in etwa einem halben Jahr in Kraft treten.

Damit sind nun die wichtigsten Bedingungen der Bundesregierung erfüllt. Dennoch will das zuständige Ministerium von Renate Künast nicht erklären, dass das Moratorium bald zu Ende gehen könne. „Dazu ist es noch zu früh“, sagte gestern eine Sprecherin. Diese unpopuläre Ankündigung überlässt man wohl lieber der EU-Kommission.

Diese steht inzwischen auch unter gewaltigem Druck der USA, die im Mai bei der Welthandelsorganisation WTO Klage gegen das EU-Moratorium eingereicht hat. Die USA werfen der EU unfaire Handelspraktiken vor, die zu einem deutlichen Absenken der US-Einfuhren von Mais und Soja nach Europa geführt haben. Schließlich wird in den USA überwiegend genverändertes Saatgut benutzt und die Ernte anschließend auch nicht getrennt.

Die Klage dürfte sich als Eigentor erweisen. Jetzt sieht es in der europäischen Öffentlichkeit so aus, als werde das Moratorium auf Druck der USA aufgehoben – und nicht weil inzwischen Genehmigungsverfahren und Kennzeichnungspflicht verbessert wurden.