haushaltsdebatte
: Politik für zwei Drittel

Man hat das besorgte Stirnrunzeln noch gut vor Augen. Politiker aller Bundestagsparteien zeigten sich nach der Saarlandwahl zutiefst erschrocken, weil so viele Menschen rechtsradikal und noch mehr Menschen überhaupt nicht gewählt hatten. Schlimm, schlimm, waren sich alle einig, so darf’s nicht weitergehen, da muss man etwas tun, um diesen Trend zu stoppen! Nur was? Darauf hätten Regierung und Opposition in der gestrigen Haushaltsdebatte eine erste Antwort geben können. Es ist ihnen eindrucksvoll misslungen.

KOMMENTAR VON LUKAS WALLRAFF

Wer bisher mit dem Politikangebot der im Bundestag vertretenen Parteien unzufrieden war, bekam nicht einmal den leisesten Hinweis darauf zu hören, was ihn künftig interessieren, geschweige denn begeistern sollte. Und das bei dem vermeintlich spannenden, großen Schlagabtausch zur Halbzeit der Regierung, bei dem die Kontrahenten das Alltagsgeschäft beiseite legen und über neue Konzepte, neue Ideen streiten könnten.

Doch dieser Streit fiel aus. Stattdessen: nur der altbekannte Hickhack um die Frage, wie es der Wirtschaft und dem Lande geht. Der Kanzler befand, kaum überraschend, das Glas sei doch halb voll (Exportweltmeister!), die Oppositionsführerin meint, es sei halb leer (Arbeitslosigkeit!). Wer hätte das gedacht?

Als Sieger dieses banalen Scheinduells um die Einschätzung der Lage dürfen sich nur die fühlen, die gar nicht im Parlament vertreten sind: die viel geschmähten „Radikalen“ wie Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und die Rechtsparteien. In der gestrigen Debatte um den Haushalt wurde noch mehr als bisher deutlich, warum die im Bundestag vertretenen Parteien nur noch zwei Drittel der Wahlberechtigten erreichen. Im Gegensatz zu den Populisten von links und rechts ignorieren sie, was viele Wähler (und Nichtwähler) umtreibt: die teils nur gefühlte, teils tatsächliche Gerechtigkeitslücke, die durch die Politik aller Bundestagsparteien entstanden ist. Die Reichen werden reicher, bei den Schwachen wird gekürzt – man muss kein böswilliger, gekränkter, eitler Ex-SPD-Chef sein, um diesen Eindruck zu gewinnen.

Trotzdem geschieht im Bundestag nichts, was geeignet wäre, diesen Eindruck zu widerlegen. Kanzler Schröder erwähnte die Bürgerversicherung nicht einmal mit einem Wort. Solange Rot-Grün nur damit beschäftigt ist, bereits beschlossene Reformen zu erklären, vulgo schönzureden, wird sich am Zulauf für Populisten nichts ändern.