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: Beziehungen und Vögel

Heute wird es mal etwas ernster an dieser Stelle. Auch alte Radios haben schließlich ihre Herbstdepression. Und da ich selbst ja ganz schön einsam bin und höchstens gelegentlich jemand an meinem Ein- und Ausschaltknopf rumfingert, kommt es mir sehr gelegen, dass der Hessische Rundfunk zurzeit jeden Tag eine halbe Stunde bestürzende Beziehungsangelegenheiten sendet. Genauer gesagt: die ungekürzte Lesung von Sándor Márais Roman „Wandlungen einer Ehe“. (Montag bis Freitag, 14.30 Uhr, bis 13. November auf HR2)

 Sehr spannend und beeindruckend ist es, mit anzuhören, wie zwei Frauen und ein Mann ihre Beziehungen zueinander beschreiben. Nicht im Gespräch, nein, die gesamte Reflexion spielt sich in drei Monologen ab. Zuerst Ilonka, die bürgerliche und enttäuschte Ehefrau. Dann Péter, der distanziert und überlegen von seinen Exfrauen spricht. Und schließlich Judit, das Bauernmädchen, die sich Péter zwar angelt, seine Liebe aber dennoch nicht gewinnen kann. Die drei Akteure geben so jeweils die eigene Sicht auf Liebe, Betrug und Partnerschaft zum Besten – und jedes Mal ergibt sich wieder eine neue Perspektive, nach dem Motto: „Ich sehe das ganz anders als du.“ Gesprochen werden die Monologe von Marlen Diekhoff, Charles Brauer und Katja Riemann. Und wer nicht jeden Werktagnachmittag Zeit und Lust hat, HR2 zu hören, der kann sich diese außergewöhnliche Ménage à trois auch als Hörbuch gönnen. Aber Vorsicht: satte 12 CDs, mit insgesamt 876 Minuten, erschienen beim Hörbuch Hamburg. Denn gut Ding will Weile haben.

 Ähnlich bestürzend, aber weitaus schockierender als zwei gescheiterte Ehen ist das Schicksal von Birdy. Schon als Kind hatte er eine Schwäche für Vögel, er träumt davon, fliegen zu können. Später, nach dem Einsatz im Zweiten Weltkrieg, landet der junge Soldat in der psychiatrischen Abteilung eines Militärhospitals: Er sitzt auf seinem Bett und simuliert einen Vogel. Lediglich Körner will Birdy zu sich nehmen. Sein Jugendfreund Al kommt von der Front mit äußerlichen Verunstaltungen in das Krankenhaus. Er soll helfen, Birdy von seinem Wahn zu befreien. Daniel Brühl als Birdy und Barnaby Metschurat als Al geben den Figuren ihre Stimme und machen die seelischen und körperlichen Verwüstungen, die der Krieg den Beteiligten zufügt, deutlich. Aber selbst diejenigen, die sich dem Krieg entziehen – wie der Krankenpfleger Renaldi (Florian von Manteuffel) – werden von den Folgen des Schreckens eingeholt. Die Vorlage des Hörspiels ist der Roman des Amerikaners William Wharton beziehungsweise die Bühnenfassung von Naomi Wallace, die sich im Anschluss an die Sendung im Gespräch zu der Geschichte äußern wird. („Birdy“, Sonntag, 18.30 Uhr, DLR Berlin)

VERONA VON BLAUPUNKT