Wer die Mächtigen kritisiert, wird mundtot gemacht

Russische Journalistin zu Gast in Hamburg: Massive Kritik an Medienpolitik in Russland. Flüchtlingshelfer fordern Abschiebestopp für Tschetschenen

HAMBURG taz ■ Olga Kitowa wirkt angespannt. Die 49-Jährige hat zuhause in Russland Justizwillkür und Polizeiübergriffe am eigenen Leib erfahren. Ins Visier der Staatsgewalt war die Journalistin durch regimekritische Artikel geraten. Gestern trat Kitowa in Hamburg vor die Presse und berichtete, wie sie im südrussischen Belgorod von Sicherheitsbeamten verprügelt, verhaftet und schließlich zu zweieinhalb Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt wurde. „Im Gebiet Belgorod bin ich die erste und letzte“, so Kitowa, „die Politiker öffentlich kritisiert hat“.

Vier Jahre habe sie staatliche Gängelung gequält, berichtete die kürzlich Rehabilitierte auf dem Podium von „Reporter ohne Grenzen“. Die Organisation hatte den Beginn des „Petersburger Dialogs“, eines deutsch-russischen Politikertreffens im Rathaus zum Anlass genommen, die Einschränkung der Pressefreiheit in Russland zu geißeln. „Wer Kritik übt, gilt dort als Opposition und der Obrigkeit als Feind“, so Kitowa, „der zu eliminieren ist.“

Doch sie ließ sich nicht zum Schweigen bringen und deckte Korruptionsskandale des Gebietsgouverneurs auf. Neben polizeilicher Prügel und Freiheitsentzug brachte ihr das eine Geldstrafe und die Aberkennung des Wahlrechts ein. Der Verantwortliche für Kitowas Marter sollte heute auch in Hamburg eintreffen, doch wegen des Geiseldramas von Beslan hat Kremlchef Wladimir Putin seinen Besuch abgesagt. Im Rathaus wollte ihn Bürgermeister Ole von Beust (CDU) empfangen. Dabei ist just von Beust Vorsitzender jener „Stiftung für politisch Verfolgte“, die Kitowa und auch der tschetschenischen Menschenrechtlerin Libkan Basajewa den Hamburg-Aufenthalt ermöglicht.

Wie doppelzüngig der Hamburger Senat das Thema Tschetschenien angeht, offenbart zugleich die Abschiebepraxis an der Elbe. Zwar versichert die Ausländerbehörde, derzeit würden Flüchtlinge aus der kriegszerstörten Kaukasusrepublik „nicht zwangsweise zurückgeführt“. Doch dem widersprechen Kirche und Menschenrechtler. „Hamburg ist derzeit das einzige Bundesland, das aktiv Tschetschenen abschiebt“, warnte Anne Harms von der kirchlichen Hilfsstelle „Fluchtpunkt“. Sie registrierte allein zwei Abschiebeversuche seit Ende Juli. Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker hatte noch im April gegen die drohende Abschiebung von 50 der rund 200 in Hamburg lebenden Tschetschenen protestiert.

Gestern erneuerten die Göttinger Menschenrechtler vor dem Hamburger Rathaus ihre Forderung eines Abschiebestopps für Tschetschenen. Dem schlossen sich Flüchtlingsräte aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen und die Arbeitsgemeinschaft kirchlicher Flüchtlingsarbeit in Hamburg an: Die Geiselnahme von Beslan sei ein „durch nichts zu rechtfertigendes Verbrechen“. Sie zeige aber auch, „dass der Tschetschenien-Konflikt einer politischen Lösung dringender denn je bedarf“.

Olga Kitowa war nie in Tschetschenien. Dorthin zu gelangen sei „lebensgefährlich“, sagt sie. Zugleich sei Recherche nahezu unmöglich: „Die Bevölkerung ist viel zu eingeschüchtert und sagt nichts.“ EVA WEIKERT