Echte Preistreiber

Erneuerbare Energie sei am hohen Strompreis schuld, klagen die Konzerne. Das stimmt aber nicht

VON STEPHAN KOSCH

Noch eine Chefsache. Jetzt hat sich der Bundeskanzler eingeschaltet und will sich auch um den Strompreis kümmern. Deshalb sollen die Vorstandsvorsitzenden der großen Energieversorger ins Berliner Kanzleramt kommen. Dort wird Schröder vermitteln müssen. Denn neuerdings beschimpft nicht nur Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) die Konzerne als „Abzocker“. Auch der sonst sehr industriefreundliche Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) haut immer fester drauf. Im Bundestag verdächtigte er die Konzerne gestern der Geschäftemacherei, die geplanten Preiserhöhungen seien „alles andere als überzeugend und nicht angemessen“. Sie sollen sofort zurückgenommen werden. Die hohen Energiekosten belasteten die Inlandsnachfrage, die nach wie vor die Achillesferse der Konjunkturentwicklung sei. Die Energieanbieter dürften mit ihrer Preispolitik nicht den Aufschwung gefährden, wetterte der Minister.

Mag sein, dass Clement einen neuen Sündenbock für die maue Konjunkturentwicklung sucht. Vielleicht will die Regierung kurz vor den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen sich auch endlich mal wieder als Anwalt des kleinen Mannes präsentieren, dem sie mit Hartz und den Änderungen im Gesundheits- und Rentensystem einiges zugemutet hat.

Doch egal warum, die Energieunternehmen sind in die Defensive geraten – und schlagen zurück. Seit Einführung des Wettbewerbs Ende des vergangenen Jahrzehnts hätten die Strompreise eine „enorme Talfahrt“ hingelegt, erklärte gestern der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Elektrizitätswirtschaft, Eberhard Meller. Der reine Strompreis liege in diesem Jahr noch etwa 16 Prozent unter dem Wert von 1998. Der Endverbraucherpreis sei nur durch die staatlichen Sonderlasten drastisch gestiegen.

Die müssen zum Teil auch jetzt wieder herhalten als Begründung für die geplante Preiserhöhung. Zum Beispiel der Ausbau der regenerativen Energie. Nach Angaben des Bundesverbandes Erneuerbare Energien entfielen von den 19,2 Cent je Kilowattstunde, die der private Kunde durchschnittlich zahlt, nur 0,52 Cent für die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Das sind gerade mal 2,7 Prozent insgesamt, jede Erhöhung der Umlage dürfte sich also auf den Gesamtstrompreis höchstens im Promillebereich auswirken. Die Einspeisevergütung ist seit dem 1. August sogar gesunken.

Auch das Argument, die Konzerne müssten in ihren konventionellen Kraftwerken Kapazitäten vorhalten, falls Solar- und Windanlagen aus Wettergründen nicht die benötigte Menge liefern können, ist umstritten. Denn die Menge dieser nur kurzzeitig gebrauchten – und deshalb sehr teuren – Regelenergie ist nach Angaben des Bundesverbandes Erneuerbarer Energien in den vergangen zwei Jahren nicht gestiegen, sondern gesunken. Außerdem seien die Wetterprognosen mittlerweile so genau, dass der Bedarf an Regelenergie minimiert werden könne.

Zutreffend ist hingegen das Argument der Stromwirtschaft, dass die Rohstoffpreise gestiegen sind. So kostet eine Tonne Importkohle heute mehr als doppelt so viel als im vergangenen Sommer. Grund ist die gestiegene Nachfrage, vor allem in China. Auch die Preise für die Schiffsfracht sind angestiegen. Fragwürdig ist aber der Verweis auf Handelspreise an der Leipziger Strombörse. Einer Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts in Köln zufolge lag der Preis zwischen September 2001 und Juni 2003 um knapp 50 Prozent über den vom Institut berechneten Kosten.

Das Spiel mit den Statistiken ist nicht neu. Doch bereits jetzt gibt es eine Behörde, die sie bewerten muss. Die Preiserhöhungen für den Endkunden müssen nämlich von den Stromlieferanten bei der Preisaufsicht in den jeweiligen Bundesländern beantragt werden. Allerdings gelten die Behörden als zahnlose Tiger, die in der Vergangenheit die allergrößte Zahl der Anträge „abgenickt haben“. So wurden im letzten Jahr zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen nur jeder fünfte Antrag auf Tarifänderung abgelehnt. Und die Transparenz lässt zu wünschen übrig. Aus Angst vor der Konkurrenz bleiben unternehmensinterne Daten geheim.