Letzte Frist für Extrawürste

In Rom beginnt das Gerangel der Staats- und Regierungschefs, ihre nationalen Interessen in die Verfassung zu schreiben

Polen und Spanien – die zwei Länder zwischen den Zwergen und den vier Riesen

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Bella Figura ist garantiert, wenn sich die 25 Chefs der EU und der 10 neuen Mitglieder heute morgen im Palazzo dei Congressi in Rom treffen. Der Marmor sei gewachst, die Brunnen beleuchtet, versichert die italienische Nachrichtenagentur Ansa. Silvio Berlusconi zeigte sich bei einer Vorbesichtigung beeindruckt. Wenn es nach ihm geht, wird die fünfte Regierungskonferenz in der Geschichte der Union nicht nur wegen der prächtigen Deko in Erinnerung bleiben, sondern auch wegen der energischen und flotten Verhandlungsführung.

In zweieinhalb Monaten soll die neue Verfassung unter Dach und Fach sein. Damit wäre diese Vertragsverhandlung unter italienischer Regie konkurrenzlos kurz – am Amsterdamer Vertrag wurde mehr als ein Jahr gebastelt. Für Nizza brauchten die Unterhändler immerhin neun Monate, ohne dass dabei viel herausgekommen wäre. Wenn die Gelegenheit fehlt, all die langen und vielfältigen Wunschzettel vorzutragen, werden sich am Ende alle in ihr Schicksal fügen und das Ergebnis des EU-Konvents mit kleinen kosmetischen Änderungen versehen abnicken – so dürfte die italienische Verhandlungsstrategie aussehen.

Durchkreuzt werden könnte sie von Polen und Spanien. Die beiden Länder sitzen, was Größe und politisches Gewicht angeht, irgendwo zwischen den vielen Zwergen und den großen vier, Italien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Ihre Sprache wir von zu vielen gesprochen, um als Minderheitensprache speziellen Schutz zu genießen, und von zu wenigen, um zur Verkehrssprache in der Union aufzusteigen. Und sie sind nur zwei, können sich also nicht wie die 19 Zwerge zu einer Gruppe zusammenschließen und ihren Forderungen dadurch mehr Gewicht verleihen.

Auf sechs eng beschriebenen Seiten legt die polnische Regierung dar, wie sie die EU-Verfassung umschreiben möchte. In den meisten Forderungen weiß sie sich dabei mit Spanien einig. Beide Länder möchten nicht, dass die in Nizza mühsam austarierte Stimmengewichtung im Rat nun zu ihren Ungunsten geändert wird. Sie wehren sich gegen einen ständigen Ratspräsidenten, gegen einen eigenen Rat für Gesetzgebung und wollen weiterhin einen stimmberechtigten Kommissar pro Land nach Brüssel schicken. Sie fordern einen Bezug auf christliche Tradition in der Verfassungspräambel.

Polen sorgt sich zusätzlich um die transatlantische Allianz und möchte „die Rolle der Nato im euroatlantischen Sicherheitssystem“ in die Verfassung schreiben. Auch Großbritanniens Tony Blair und der Regierung José María Aznar liegt dieses Bündnis bekanntlich am Herzen. Deutschland und Frankreich dagegen möchten die unabhängige europäische Verteidigungsidentität stärken – und die entsprechenden Passagen im Verfassungsentwurf unverändert beibehalten.

Die kleinen Länder haben in ihren Änderungswünschen keine einheitliche Linie. Jeden stört ein anderes Detail am Verfassungsentwurf. Es eint sie aber das Misstrauen, die Großen würden über ihre Köpfe hinweg das Konventsergebnis ohne Debatte durchwinken. „Wir möchten jede Frage stellen können. Es geht uns nicht darum, das Paket wieder aufzuschnüren, es geht darum, Details zu verbessern“, sagte Österreichs Außenministerin Benita Ferrero-Waldner.

Eine erstaunliche Rolle spielt in dieser Gemengelage die EU-Kommission. Romano Prodi verdammte kürzlich das Konventsergebnis in Bausch und Bogen, obwohl die Kommission bis dahin immer zu den Kompromisswilligen im Verfassungskonvent gehört hatte. Der Verdacht liegt nahe, dass der italienische Kommissionspräsident dem amtierenden Premierminister die Publicity nicht gönnt. Schließlich möchte Prodi im nächsten Wahlkampf als Herausforderer Berlusconis antreten.

Der deutsche Europaabgeordnete Klaus Hänsch, der die Sozialdemokraten als Parlamentsbeobachter bei der Regierungskonferenz vertritt, hält die „Augen-zu-und-durch-Strategie“ der Italiener für Erfolg versprechend. Auch Elmar Brok, der als Schattenbeobachter für die Konservativen dabei ist, vertraut auf die Chaos-Theorie (siehe Interview). Zieht man den Umkehrschluss aus den Erfahrungen im Vorfeld des Nizza-Gipfels, so sind ausführliche Verhandlungsrunden auf Beamtenebene eher hinderlich. Die Nörgler durch eine straffe Tagesordnung zum Schweigen zu bringen, ist daher zumindest einen Versuch wert.

Der tschechische Staatspräsident Václav Klaus hat aber schon deutlich gemacht, dass er sich durch solche Tricks nicht zur Räson bringen lässt. Er reist gleich gar nicht zur feierlichen Eröffnung an. „Wir werden uns nicht durch Kritiker zum Schweigen bringen lassen, die uns vorwerfen, wir seien antieuropäisch. Wir sind gegen einen europäischen Superstaat, aber wir sind durchaus für ein vernünftig integriertes, freies und produktives Europa“, schrieb Václav Klaus am Montag.

Gerne gekommen wäre dagegen Konventspräsident Valéry Giscard d’Estaing. Die Italiener wollten ihn zur Regierungskonferenz hinzubitten, damit er als Anwalt für den von seinem Konvent erarbeiteten Entwurf auftreten kann. Das war einigen Regierungschefs suspekt. Sie möchten unter sich sein, wenn sie versuchen, in letzter Minute eigene Interessen durchzusetzen. Schon in dieser Frage mussten die Italiener einen Rückzieher machen. Ein schlechtes Omen für die fünfte europäische Regierungskonferenz.