Songs wie Zuckersirup

Am Montag erscheint „Dudajim“, die neue Platte des Duisburger Liedermachers Tom Liwa – Herbst-Pop, der seine Zeit braucht

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Sie sei eben wieder in der Zivilisation angekommen, sagt die Stimme am Apparat. Zurück aus der Einöde, wo Wasser noch nicht warm aus Hähnen rinnt, wo die Welt noch ihren makellosen Schein aufrecht erhalten kann. Die Stimme gehört Tom Liwa, jenem Duisburger Liedermacher, der früher mit den Flowerpornoes rabaukte, seiner Band, nun aber schon länger auf eigenen Pfaden wandelt. Die Wege, die er am liebsten geht, führen weg von hier, weg aus der Zivilisation, hinein in die Einöde und bestenfalls in sein Innerstes.

Am Montag bringt Liwa sein neues Album auf den Markt. Es heißt „Dudajim“, was keinesfalls eine infantile Wortspielerei, sondern dem Hebräischen entlehnt ist und „doppelte Liebe“ bedeutet. Aus dem Booklet des Albums blicken Liwas Augen wehmütig ins Nichts, irgendwo hin, vielleicht dorthin, wo die Welt besser ist, einfacher, poetischer. Leider gehört „Dudajim“ aber zu jenen Platten, bei denen einem die Welt zunächst ordentlich aufstößt, die beim ersten Hören einen gemeinen Reflux in der Speiseröhre verursachen. Zu süß ist zunächst dieser zu Songs gewordene Zuckersirup, zu süß sind die schokoladigen Texte, die Marzipan-Melodien, die klebrig-helle Stimme, bei der man ewig rätseln muss, ob sie denn wirklich Tom Liwa gehört.

Doch, Gipfel der üblichen Pop-Absurdität: Nach mehrmaligem Hören rückt einem mancher Song tatsächlich näher. „Aer“ zum Beispiel, das erste Stück der Platte, geht einem nicht mehr aus dem Kopf. Das ist schöner Herbst-Pop, ohne unnötige Schnörkel und so versonnen, dass der Herbst ruhig kommen kann – schließlich haben wir jetzt dieses Lied, das Dummköpfe wohl einen „Ohrwurm“ nennen würden. Er kann uns also gar nichts mehr, der miese, sprühregnerische Herbst.

Nun ja, fast nichts. Denn in „Traumdeuter“, der Single-Auskopplung, kann sich Liwa der latent jammernden Intonation nicht erwehren. Seine Stimme schwingt sich auf in sauerstoffarme Höhen, und heraus kommen Zeilen wie: „Der Beweiiiiis ist erbracht, der Fluss der Zeiiiiit nur ausgedacht“, so dass man am liebsten „Quälereiiiii“ zurücksingen würde. Etwas später haucht und maunzt Liwa dann wieder wie gewohnt, dann zupft er sachte seine Gitarre, bastelt verspielte Klangkaskaden dazwischen, esoterisches Klingklong, sprudelnde Wässerchen, rauschende Winde – ja, auch das ist „Dudajim“: Meditation, Beruhigung, Wandertag.

Eines aber ist sicher: Tom Liwa steht mit seinem neuen Album einer vermeintlichen, dem Mainstream unterwürfigen Deutsch-Pop-Szene ferner denn je. Und er will auch gar nicht „dazu gehören“. Er sei oft verärgert, sagt Liwa, und dass es anstrengend sei, Musik von deutschen Kollegen zu hören. Möglicherweise wird es ihn deshalb irgendwann ganz in die Einöde verschlagen, die er „total gern mag“, wie er total gern sagt. „Vielleicht leben wir bald alle außerhalb der Zivilisation“, spekuliert Liwa. Dann wäre eine Zeit angebrochen, die er „postelektrisch“ nennt. Eine Zeit, in der sich der Liedermacher vielleicht wieder politisch äußert, was er auf „Dudajim“ vermieden hat. Vielleicht auch ganz angenehm so.