Schmuckfarbe Resopal

Das „Neue Deutschland“, ehemals SED-Parteiblatt und immer noch die größte überregionale Tageszeitung der neuen Länder, leidet nicht nur unter Leserschwund. Sekt gibt es trotzdem

AUS BERLIN STEFFEN GRIMBERG

Am letzten Montag war das Neue Deutschland die einzige überregionale deutsche Tageszeitung neben der Frankfurter Allgemeinen, die das blutige Ende der Geiselnahme in Beslan als Aufmacher groß auf der Titelseite brachte – und nicht die Saarland-Wahl. „Die Entscheidung war richtig“, sagt ND-Chefredakteur Jürgen Reents in der Morgenkonferenz. Alles nickt.

Mit gutem Grund: Das ehemalige SED-Parteiblatt ist die Überregionale der neuen Länder, zwischen Rügen und dem Erzgebirge verkauft sich das ND dreimal so häufig wie jeder andere überregionale Titel, egal ob FAZ, Welt, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau oder taz. Das ist die gute Nachricht.

Aber Reents ist natürlich Realist: „Das sagt nicht viel über unsere Stärke, sondern eher etwas über die Schwäche der anderen“, sagt er später im Gespräch. Für ihn ist die Definition „überregional“ ohnehin „ein Attribut, das einem zugeteilt wird“ – und zeuge von „klarer Westsicht“. Hauptkonkurrenz in Ostdeutschland sind für das ND ohnehin die auflagenstarken Regionalzeitungen in Ostdeutschland.

Und darin liegt dann auch die schlechte Nachricht: An die Millionenauflage zu DDR-Zeiten mag beim ND niemand mehr denken, auch die Hunderttausender-Auflage aus Wendezeiten ist längst perdü. Stattdessen lag die verkaufte Auflage im zweiten Quartal 2004 bei 51.078 Exemplaren täglich (knapp die Hälfte davon in Berlin und ca. 3.000 in Westdeutschland) – und über 5.000 weniger als vor zwei Jahren. 1999 waren es noch 75.000.

Unszeniger Retro-Charme

Der Leserschwund beim Neuen Deutschland zeigt sich auch im Altersschnitt: Wie bei vielen Blättern altert auch der ND-Leser schneller als die Gesamtbevölkerung – viel schneller sogar: Beim ND ist er deutlich älter als 60.

Auch wenn die MitarbeiterInnenschaft logischerweise jünger ist, atmet der momentane Redaktionssitz am Berliner Osthafen, höflich formuliert, Retro-Charme. Schmuckfarbe Resopal, sozusagen, genauer gesagt – Sprelacart. So sehen derzeit immerhin viele Szenekneipen aus, auch wenn beim ND die Good-Bye-Lenin-Tapeten fehlen. Die offizielle ND-Schmuckfarbe (dezentes Türkis) findet sich eher selten.

Im Frühjahr hatte sich auch das ND eine „Neugestaltung“ verpasst – der Chefredakteur sagt zwar „Relaunch“, verbessert sich aber schnell. „Das Alter fürs Abonnement fängt irgendwo jenseits der 35 an“, sagt Reents, weshalb es nun für die mittlere Leserschicht, „das breite linke Spektrum“, eine neue wöchentliche Seite „Außer Parlamentarisches“ und „Betrieb und Gewerkschaft“ gibt. Für „Leute in sozialen Kämpfen“ will man mehr bieten.

„Ganz zarte Anzeichen“

Schließlich sei das ND der einzige Titel, der „Hartz IV schon seit der Agenda 2010 immer im Blatt hatte“ – in diesen Wochen immer montags mit dem wohl vollständigsten Demo-Überblick der Republik. In Leipzig und Berlin ist das ND stets präsent – doch in der Morgenkonferenz wird auch darüber nachgedacht, wie man einer Kuba-Initiative klar macht, dass man nicht jeden Leserbrief samt Spendenaufruf veröffentlichen kann.

Weiteres Thema der Konferenz: der ansonsten wunderbare Text über eine 19-jährige PDS-Kandidatin für den sächsischen Landtag. Der sage nichts über die politischen Ziele der jungen Frau aus, moniert der Chef. Die immer noch an DDR-Sprech erinnernden Artikel-Anfänge („Zum 5. Mal in ihrer Geschichte kamen die Delegierten der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt zu einem außerordentlichen Gewerkschaftstag zusammen. Am Wochenende bot das Congress Centrum Mannheim die Kulisse für das außerplanmäßige Treffen.“) bleiben unerwähnt. Ob es da mit einer „Neugestaltung“ des Blattes getan ist, bleibt fraglich. Reents sagt: „Eine Stabilisierung der Auflage ist eingetreten.“ Von „ganz zarten Anzeichen, dass wir’s hinkriegen können“, spricht Verlagsleiter Dietmar Bartsch.

Das gegenwärtige politsoziale Klima indes könnte dem ND nützen, wie auch der Partei hinter dem Blatt: 50 Prozent hält die PDS direkt an der „Sozialistischen Tageszeitung“ (Unterzeile des Titelkopfes), der Rest gehört einer GmbH. Deren Gesellschafter sind wiederum PDS-nah. Das Wort „überparteilich“ habe da auch nie gestanden, sagt ein Redakteur, „unabhängig“ übrigens auch nicht. Zum Verkauf der Frankfurter Rundschau an die SPD-Presseholding DDVG vor wenigen Monaten möchten weder Chefredakteur Reents noch Verlagsleiter Bartsch viel sagen – das passe nicht für’s ND. Und was ist mit der PDS? „Wenn’s mit der PDS extrem nach unten geht, ist das natürlich verhängnisvoll für uns“, sagt Bartsch, „das gilt logischerweise auch umgekehrt.“

Dann gibt es Sekt. Angestoßen wird jedoch nicht auf die zu erwartenden deutlichen Zuwächse für die PDS bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg, sondern auf einen Redakteur, der seinen 60. Geburtstag feiert. Er ist seit 30 Jahren beim ND.