Verspätung beim Börsengang der Bahn

Ein neues Gutachten verzögert sich. Denn das Ministerium hatte sich nicht an die Vorgaben des Parlaments gehalten

BERLIN taz ■ Der Börsengang der Deutschen Bahn vor der Bundestagswahl 2006 wird immer unrealistischer. Denn ein vom Bundestag gefordertes Gutachten, das die Möglichkeiten eines Börsengangs der Bahn auch ohne das Schienennetz ausloten soll, kommt später als geplant.

Die Ausschreibung des Verkehrsministeriums entsprach nicht den Vorgaben des Parlaments. Die verkehrspolitischen Experten der Bundestagsfraktionen setzten daher am Donnerstagabend bei einem Treffen im Verkehrsministerium durch, dass die Interessenbekundung neu ausgeschrieben wird. Für den verkehrspolitischen Sprecher von Bündnis 90/Grünen, Albert Schmidt, ist der Zeitplan für den Börsengang nun „völlig unrealistisch“ geworden. „Der parlamentarische Prozess kann jetzt erst frühestens im zweiten Halbjahr 2005 beginnen“, sagte er gestern der taz. Bahnchef Hartmut Mehdorn hatte sich erst am vergangenen Wochenende dafür ausgesprochen, dass die Bahn noch vor der Bundestagswahl 2006 an die Börse kommt.

Zwar gibt es bereits ein Gutachten der Investmentbank Morgan Stanley. Das hat allerdings zur Grundlage, dass das Schienennetz Teil des Bahnkonzerns bleibt. So will es auch die Deutsche Bahn. Kritiker sehen aber in diesem Fall den Wettbewerb auf der Schiene behindert. Zudem ist das Netz mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt gebaut und erhalten worden. Der Bundestag will daher auch ausdrücklich den Verbleib des Netzes in öffentlicher Hand prüfen lassen.

Der vom Verkehrsministerium vorgesehene Text für die Interessenbekundung – einer Vorstufe des Ausschreibungsverfahrens – wollte nun gerade die Frage der Kapitalmarktfähigkeit einer Bahn ohne eigenes Netz herauslösen und wieder automatisch Morgan Stanley zuschlagen. Verkehrspolitiker sehen das skeptisch, da Morgan Stanley auf den Börsengang mit Netz „vorgeprägt“ sei. Die vom Verkehrsministerium vorgesehene Lösung einer nachträglichen Änderung der laufenden Ausschreibung hätte zudem möglicherweise rechtliche Probleme mit sich gebracht, befürchtet der SPD-Verkehrsexperte Reinhard Weis. Deshalb habe man sich zur neuen Ausschreibung entschieden.

Das Verkehrsministerium und Weis sprachen nun von einem „engagierten“ und „knappen“ Zeitplan, der aber weiterhin einen Börsengang 2006 ermöglicht. Diese Vorgabe sei aber im Zweifel nicht maßgeblich, sagte Weis der taz. Ein Projekt dieser Bedeutung dürfe nicht unter falschem Zeitdruck durchgeführt werden. Der FDP-Experte Horst Friedrich sieht aber ebenso wie Schmidt den geplanten Zeitplan als nicht mehr einzuhalten an. „Der war von Anfang unrealistisch“, sagte Friedrich der taz.

Neben den organisatorischen Problemen lässt auch die finanzielle Situation der Bahn an einem baldigen Börsengang zweifeln. Morgan Stanley sieht in einer aktuellen Auswertung der Halbjahreszahlen verkehrspolitischen Kreisen zufolge die Bahn weit hinter ihren Zielen zurück.

Die offenbar beschlossene Fahrpreiserhöhung ab Dezember wird die Bilanz der Bahn erst im kommenden Jahr verbessern. Allerdings sind sie Pläne auf breite Ablehnung in der Politik gestoßen. Horst Friedrich warf Mehdorn vor, das falsche Signal zur falschen Zeit zu setzen: „So bekommt man die Leute nicht in die Züge, so treibt man sie heraus.“ Der CDU-Verkehrspolitiker Dirk Fischer kritisierte die Preiserhöhung als überproportioniert. „3,5 Prozent liegen deutlich oberhalb von Inflation und Einkommensentwicklung.“

STEPHAN KOSCH