Das coole Berlin tobte

Auf Augenhöhe mit Stella rocken: Das Hamburger Plattenlabel Lado feierte in der Volksbühne, Indie-Pop erfolgreich in die Charts gebracht zu haben. Auch wenn 15 Jahre nach der Gründung die Achtzigerjahre noch immer präsent sind

Als auf dem frisch gegründeten Label L’Age d’Or 1988 die Kolossale Jugend ihr Debüt veröffentlichte, kam das einem unerhörten Wagnis gleich: Indie-Mucke auf Deutsch! Das kann nur Grütze sein. Dachte man. Weit gefehlt. Zum fünfzehnten Geburtstag feiert die Hamburger Firma nicht nur sich, sondern auch den laut hörbaren Traum der deutsch singenden Pop-Linken in den Charts. Blumfeld entern wie selbstverständlich die Top Ten. Von Tocotronic hört man Ähnliches. Auch ein Verdienst von Lado – wie man sich sprachökonomisch nennt.

Am Freitag in der Volksbühne fehlten die ganz großen Namen der Label-Geschichte. Die Sterne und besagte Tocotronic hatte man sich heimlich gewünscht. Stella, Spillsbury und Superpunk bekam man. Mogelpackung? Mitnichten. Aber dem Abtauchen der zugkräftigen Namen und dem Auftauchen eines beharrlichen Tiefdruckgebietes war es vermutlich zu verdanken, dass man sich im Sternfoyer des Theaters und drinnen im Saal nicht auf die Füße trat.

In der Kulisse des Clubs Neustadt gewann der Abend beträchtlich an Flair. Zwischen Bingo-Reklame, Wohn-Container und Pappmaché-Hochhäusern öffnete sich der Blick auf eine geradezu intime Spielfläche. Warmes Licht erhöhte den Wohlfühl-Faktor. So kuschlig wurde es für zwei junge Männer, dass sie vor dem eigenen Rauschmittel-Konsum kapitulierten und in Embryonalstellung einschliefen.

Da konnte auch Stella-Sängerin Elena Lange nichts ausrichten. Als sie kraftvoll ins Mikro rief: „Es werde Licht!“, schaltete sich zwar die Deckenbeleuchtung ein – aber die Jungs blieben ungerührt liegen. Ein kleines Wunder ist den beiden Herren damit entgangen. Nach dem ersten aufrüttelnden Stück Musik zwischen Elektro-Pop und Garagen-Punk bat Elena die Menge, einfach näher heranzukommen – und das Publikum tat, wie ihm geheißen, rockte auf Augenhöhe mit den Musikern und radierte die Distanz zwischen Künstler und Konsument einfach aus. Am Ende musste sich die Band fast vor den wilden Rhythmus-Bewegungen schützen. Das coole Berlin tobte.

Auf der Herrentoilette diskutierte man drastisch das eben Erlebte. „Verfluchte Scheiße“, sagte der eine, worauf der andere eine unflätige und nicht druckfähige Antwort gab. Die ernüchternde Conclusio der beiden Alles-schon-gesehen-Habenden: „Du wusstest doch genau, worauf du dich bei Lado einlässt.“ Das beinhaltete die Einsicht, eigentlich wenig Neues und eine Vielzahl an Achtziger-Referenzen auf den Weg bekommen zu haben. Trotzdem: auf eine sehr sympathische Art und Weise.

Das Zitat rückte bei der Nachfolge-Band Spillsbury noch stärker in den Vordergrund. Der jungen androgynen Sängerin Zoe Meißner sah man leicht an, dass sie die Achtziger an der Mutterbrust erlebt hatte – und das verpasste Jahrzehnt mit Inbrunst und Charme auf die musikalische Agenda holte. „Das Spiel ist aus / der Spaß vorbei“, brüllte sie mit markant-schriller Stimme – und irgendwie konnte man sich einen gedanklichen Vergleich zu den Berliner Slogan-Songs von Mia nicht verkneifen. Immerhin verfielen Spillsbury keinem ekligen Lokalpatriotismus.

Je später der Abend, umso schöner die Gäste. Das alte Sprichwort traf leider nicht auf Superpunk zu, die weit nach drei Uhr die Bühne betraten. Die Idee, eine rockigere Variante von Calexico zu spielen, kann man aufgrund der hohen Schluffigkeit nur als nett bezeichnen. Dass nebenan im Roten Salon derweil ein Mann von sich hören machte, der elektronische Musik in Richtung Zukunft schickte, sahen leider nur wenige. Ascii Disko gehört zum wegweisenden neuen Lado-Team, das immer noch unter der Ägide von Gründer Carol von Rautenberg steht. Nach fünfzehn Jahren Positionsbestimmung im Indie-Pop bemüht sich L’Age d’Or, Elektro-Sounds stärker einzubinden. Ein unerhörtes Wagnis für Indie-Rocker? Nicht mehr. Auch dank dem Label von der Waterkant. ULF LIPPITZ