Menschenwürde konkret

Auf dem ersten Berliner Integrationstag wird Tacheles geredet, was die unhaltbaren Zustände in der Ausländerbehörde betrifft. Zehn Forderungen für ein menschenwürdiges Gebaren in der Verwaltung

VON WALTRAUD SCHWAB

Seit Jahren verhallen die Proteste gegen unwürdige Behandlung der Menschen, die ihre Anliegen bei der Ausländerbehörde regeln lassen müssen, im Nichts: Dass man dort oft stundenlang warten muss, mitunter umsonst, dass jeder mithören kann, wenn AntragstellerInnen ihr Anliegen endlich jemandem von der Behörde vortragen dürfen, dass die AusländerInnen komplizierteste Sachverhalte auf Deutsch kapieren sollen, dass auf allen Seiten die Nerven blank liegen – das wissen in Berlin alle, die es wissen wollen. Getan hat sich nichts. Auf dem ersten Berliner Integrationstag, der heute in der Werkstatt der Kulturen stattfindet, könnte sich das ändern. Denn die Arbeitsgruppe „Interkulturelle Öffnung der Verwaltung“, die der Landesbeirat Migration und Integration bestellt hat, will Tacheles reden und konkrete Verbesserungen zuerst in der Ausländerbehörde in der Nöldnerstraße einfordern.

Die Arbeitsgruppe, in der neben VertreterInnen der Wohlfahrtsverbände und Migrantenorganisationen auch ein Vertreter der Senatsverwaltung für Inneres und der CDU-Gesundheitsstadtrat von Neukölln vertreten sind, hat die Nöldnerstraße besucht und ist auf unhaltbare Zustände gestoßen: Keine verständlichen Hinweise für die Ausländer, wo was zu finden ist. Keine für Kinder geeigneten Räume, obwohl die Betroffenen oft über Stunden mit ihren Kleinen warten müssen. Kein Recht für die Betroffenen, dass ihre Angelegenheiten vertraulich behandelt werden. Selbst Festnahmen vor Ort bei anstehenden Abschiebungen werden von den Wartenden mitangesehen. Erklärt werde ihnen nichts. „Die Grundqualitäten, die für einen menschenwürdigen Umgang gelten, sind in der Nöldnerstraße nicht gegeben“, moniert Michael Freiberg, der Neuköllner Gesundheitsstadtrat, der vom Rat der Bürgermeister in die Arbeitsgruppe geschickt wurde. Dass er – als eigentlich wendiger Finanzpolitiker, der auch Härte zeigt, wenn es ihm richtig scheint – auf die Seite der Kritiker der Ausländerbehörde geraten ist, sei einer Erkenntnis geschuldet. Jener nämlich, dass es mitunter kostspieliger sei, als Gegner aufzutreten als Achtung voreinander zu haben.

Im Protokoll ihres Behördenbesuchs zeigt die Arbeitsgruppe durchaus Verständnis sowohl für die AusländerInnen als auch die MitarbeiterInnen. Dass aber eine Situation, die bekanntermaßen seit Jahren für beide Seiten stressig ist – und auf der einen zu einem hohem Krankenstand, auf der anderen zu Verzweiflung führt –, nicht im Sinne einer funktionierenden Behörde geändert wurde, das ist für die Arbeitsgruppe unverständlich. „Bei vielen unserer Hinweise auf unhaltbare Zustände kam die Antwort, es habe sich ja noch niemand beschwert. Solche Fantasielosigkeit kann man nur an den Tag legen, wenn man nicht weiß, um was es geht“, meint Irene Runge vom Jüdischen Kulturverein. Sie glaubt, dass der Beschluss der Arbeitsgruppe Signalwirkung haben wird. Der Landesbeirat für Migration und Integration sei kein Alibigremium, meint sie.

Die Arbeitsgruppe hat einstimmig einen 10-Punkte-Forderungskatalog beschlossen, aus dem hervorgeht, was in der Ausländerbehörde umgehend verbessert werden muss. (Siehe Kasten). Darunter sind so explosive Forderungen wie jene, dass der Innensenator seinen Einstellungskorridor im Ausländerbereich aktivieren möge, um auch Menschen mit Migrationshintergrund und interkultureller Kompetenz von außen als Mitarbeiter in der Ausländerbehörde einzustellen. Bis dahin gelte: „Mitarbeiter, die keine Fremdsprache können, müssen eine lernen. Wer keine interkulturelle Kompetenz hat, der muss zur Fortbildung“, meint Runge. „Wir machen praktische Vorschläge, um wenigstens von außen die Situation zu verbessern – und zwar jetzt“, sagt Freiberg. „Menschen haben den Anspruch, menschlich behandelt zu werden.“

1. Berliner Integrationstag, heute ab 10 Uhr. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen werden ab 13.30 Uhr vorgestellt. Veranstaltungsort: Werkstatt der Kulturen, Wissmannstraße