Gehst du zur SPD, vergiss die Eier nicht

Der Eiwurf ist als Ausdruck des Protests beliebter denn je, nicht nur auf den Montagsdemos. Kein Wunder. Für Eier spricht einiges

VON FELIX LEE

Bei Kanzler Schröder machte es zunächst im brandenburgischen Wittenberge flatsch. SPD-Querschießer Lafontaine entkam dem Attentat in Leipzig nur knapp. Und Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck erkor das verschlafene Senftenberg bereits zur neuen Randale-Hochburg, als ihn der gelbe Glibber traf. Seit vergangenen Montag beflügelt das fast in Vergessenheit geratene Wurfgeschoss auch die Protestkultur in Berlin: Dutzende rohe, zum Teil auch mit grüner und roter Farbe angereicherte Hühnereier flogen bei Ankunft der Montagsdemonstranten am Halleschen Ufer auf die SPD-Zentrale – und trafen vor allem irritierte Polizisten. Gegen Steine waren die Opfer mit ihren gepanzerten Westen und stählernen Helmen gewappnet, nicht aber gegen schleimige Eier, die nach der ersten Attacke langsam, aber hartnäckig an ihren grünen Uniformen herunterliefen.

Das Ei als Protestmittel – was spricht dafür?

Zunächst einmal der Preis. 69 Cent kostet eine Zwölfer-Packung bei Aldi. Im Vergleich zu anderen Protestutensilien: einfach konkurrenzlos billig, selbst bei Eiern aus Bodenhaltung.

Bei Vorkontrollen werden Eier in den seltensten Fällen konfisziert – ja häufig nicht einmal erkannt. Trotz der mit Hormonen angereicherten Legehennen bleibt der Eisengehalt ihrer gelegten Eier zu gering, als dass sie tatsächlich von den Metalldetektoren erkannt werden. Und wird von besonders hartnäckigen Anti-Konflikt-Beamten bei der Durchsuchung des Rucksacks doch mal verwundert nach der Eierschachtel gefragt, kann sich DemonstrantIn immer noch glaubwürdig mit dem WG-Einkauf herausreden.

Sind die Eier unversehrt im Demoblock angelangt, sollte der/die TrägerIn nur darauf achten, dass diese auch in der richtigen Position verstaut sind. Sicherlich sind Eier leicht zerbrechlich, aber nur wer sie falsch hält. In der Längsachse halten sie angeblich gut und gern einen Druck von vier Kilogramm aus. Und auch ein Stolpern ist keine Gefahr – vorausgesetzt, man fällt richtig. Israelische Studenten sollen wissenschaftlich bewiesen haben, dass ein Ei aus 30 Meter Höhe herunterplumpsen kann, ohne dabei zu zerbrechen.

Kommen wir zum eigentlichen Wurfprozedere: Zunächst einmal muss mit dem Mythos vom „Herumgeeiere“ aufgeräumt werden. Entgegen dem weit verbreiteten Glauben, hat das rohe Ei trotz schlabbernden Dotters keinen unruhigen Flug (siehe Interview). Im Gegenteil: In einigen Ländern hat sich der Eiwurf längst als beliebte Sportart etabliert. Der Werfer schleudert das Ei dabei so weit er kann in Richtung Partner, der das Geschoss kurz vor Bodenkontakt auffängt. Es darf bloß nicht zerbrechen. Der Rekord liegt bei 75,60 Meter. Warum gerade das Ei als Sportgerät genutzt wird? Ganz klar, wegen der Treffsicherheit. Eine Disziplin, die auch bei Schröders Leibwächtern auf die Liste des morgendlichen Fitness-Programms aufgenommen werden könnte.

Und damit sind wir bei den Tipps für die potenziellen Zielscheiben. Die Zewa-Wisch-und-Weg-Rolle hat sich bewährt. Wer getroffen ist, sollte das Ei so schnell wie möglich vom geschniegelten Anzug abwischen. Der getrocknete Glibber kann sich nämlich ganz schön hartnäckig ins Gewebe fressen. Weniger dramatisch wirkt sich hingegen der Treffer aufs Haupt aus. Wie uns alle Jahre wieder die Fernsehwerbung lehrt, reichern Eier das strapazierte Haar mit hochwertigen Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen an. Und dass gelbe Shampoos in lieblos bedruckten Plastikflaschen mit der Aufschrift „Ei-Lecithin“ gesünder sind als die direkte Verabreichung des Naturprodukts, glauben Sie doch wohl selbst nicht. Also, ruhig mal die Tolle hinhalten, wenn Eier fliegen!

Ei, Ei, Ei verboten? Nichts da. Strafrechtlich ist der Eierwurf allenfalls ein Bagatell-Delikt, zumindest wenn es um rohe geht. Egal, wie prominent das Opfer ist. Zwar musste APO-Aktivist Dieter Kunzelmann für elf Monate hinter Gitter, als er Berlins damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen ein Ei auf dem Kopf zerschlug und dies mit den Worten ergänzte: „Frohe Ostern, du Weihnachtsmann.“ Aber nur, weil der Richter in Kunzelmann einen Wiederholungstäter sah. Zweimal einen Kanzler oder den gleichen Ministerpräsidenten zu treffen – ein Privileg, dass allein Alt-68ern vorbehalten bleibt. Nur hart gekocht sollten Wurfeier nicht sein. Das wäre vorsätzliche Körperverletzung.

Bleibt zu guter Letzt noch das moralische Für und Wider des Eierwurfs. Konnte Helmut Kohl 1991 in Halle nur mit Mühe daran gehindert werden, persönlich auf den Juso loszugehen, der ihm ein rohes Ei ins Gesicht klatschte, war das Ei auch in den Folgejahren als Protestmittel so ganz nicht totzukriegen. Zweimal ereilte ihn das Ei in seiner Amtszeit noch. Damals wie heute versuchen Politiker, den Eierwurf als „Zerstörung der politischen Kultur“ zu geißeln. Vergeblich. Selbst Renate Schmidt, heute Bundesfamilienministerin, äußerte damals ein „gewisses Verständnis dafür, dass Arbeits- und Hoffnungslose ihrer Enttäuschung mit Eierwerfen Luft machen“. Was, bitte schön, soll sich daran geändert haben?

Und ein letztes Argument noch, das für den Eierwurf spricht: Wie die vielen Proteste gegen Nazi-Aufmärsche gelehrt haben – anders als Steine können Eier nicht zurückfliegen.