Sprung aus dem Schatten

Mit dem Sieg von Swetlana Kusnetsowa gegen Jelena Dementjewa im Finale der US-Open setzt sich die Dominanz der russischen Tennisspielerinnen fort, die drei der vier Grand-Slam-Titel gewannen

AUS NEW YORK DORIS HENKEL

Mit dem doppelt gerollten rr klang ihre Antwort besonders markant. „Rrussia is just a powerrfull countrry“, meinte Swetlana Kusnetsowa nach ihrem Sieg im Finale der US-Open bei der Zeremonie und nahm als Botschafterin dieser starrken Nation mit Freude einen Siegerscheck über eine Million Dollar entgegen. Ja, das lässt sich beim besten Willen nicht mehr übersehen. Nach Anastasia Myskina in Paris und Maria Scharapowa in Wimbledon nun also die 19-jährige Kusnetsowa. Und dank Jelena Dementjewa auch diesmal „zwei Russinnen in einem russischen Finale“, wie der Präsident des amerikanischen Tennis-Verbandes (USTA), Alan Schwartz, so nett meinte. Drei Grand-Slam-Titel innerhalb eines Jahres für drei verschiedene Spielerinnen eines Landes – das hat es seit 25 Jahren im Frauentennis nicht mehr gegeben, und darauf braucht manch einer in diesem Geschäft erst mal einen doppelten Wodka.

Weiß der Kuckuck, ob es tatsächlich daran liegt, dass sie härter trainieren und hungriger auf den Erfolg sind, wie sie selbst oft behaupten. Und wie groß die soziale Komponente mit der Aussicht auf Wohlstand in dieser Geschichte ist. So wie bei Swetlana Kusnetsowa, die aus einer Familie höchst erfolgreicher Radsportler kommt, mit einem Vater, der einer der erfolgreichsten Trainer des Landes ist, einer Mutter, die sechsmal Weltmeisterin war, und einem Bruder, der bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta eine Silbermedaille gewonnen hat. „Was ist mit Tennis?“, soll Alexander Kusnetsow die Tochter gefragt haben, als es um die Wahl einer Sportart ging, „da kann man doch viel Geld verdienen.“

Wie im Fall von Marat Safin hat auch Swetlanas Erfolg spanische Wurzeln. Seit sie 14 ist, trainiert sie in Barcelona in der Tennisschule Sánchez/Casal, und der ehemalige Spitzenspieler Sergio Casal war einer der ersten, die sie nach dem 6:3, 7:5-Sieg auf der Tribüne umarmte. Verglichen mit den anderen Russinnen ist Kusnetsowa eine eher unauffällige Erscheinung. Nicht so kapriziös wie Myskina, gegen die sie in Paris nach einem Matchball noch verloren hatte, nicht so glamourös wie Scharapowa, nicht so leise und sensibel wie Dementjewa. Nach dem Sieg gegen die angeschlagene Favoritin Lindsay Davenport im Halbfinale hatte sie sich eine kleine Trainingseinheit auf einem Nebenplatz gegönnt, Leute waren vorbei gekommen, aber kaum einer hatte sie erkannt.

„Ich bin nicht so berühmt“, meinte sie hinterher, „ich bin nicht so gut und habe keine Publicity wie Scharapowa.“ Aber es hörte sich nicht so an, als störe sie daran irgendwas. Wie es sich im Schatten berühmter Menschen leben lässt, das hat sie in ihrer Zeit als Doppelpartnerin von Martina Navratilova erfahren. Die beiden gewannen 2003 fünf Titel zusammen, standen vor einem Jahr auch im Doppelfinale der US-Open, und Swetlana Kusnetsowa muss lachen, wenn sie sagt: „Meinetwegen sind die Leute da sicher nicht gekommen.“

Doch im Einzelfinale 2004 zeigte sie, wie gut sie wirklich ist. Ging volles Risiko, machte Kleinholz aus Dementjewas Aufschlag und wirkte nicht im geringsten nervös im ersten großen Endspiel ihres Lebens. Für ihre Gegnerin war es schon das zweite, doch im Gegensatz zu den French Open, wo Dementjewa nach einem schrecklichen Auftritt gegen Myskina in Tränen ausgebrochen war, leistete sie diesmal mutig Gegenwehr, trotz der Oberschenkelzerrung, die ihr auch in diesem Spiel zu schaffen machte. Ihre Erkenntnis nach dem zweiten verlorenen Finale innerhalb weniger Monate: „Ich bin nicht enttäuscht, weil ich alles getan habe, was ich konnte. Aber mit diesem Aufschlag kann man kein Grand-Slam-Turnier gewinnen. Ich muss wirklich lernen, ihn zu lieben.“

Aber man kann mit ein paar warmherzigen Worten ziemlich schnell fremde Menschen gewinnen. Als die Finalistinnen in ihren kleinen Reden bei der Siegerzeremonie am dritten Jahrestag des 11. September an dessen Opfer und an die Opfer der Geiselnahme zu Beginn dieses Monats in Beslan erinnerten und als Swetlana Kusnetsowa ihren Sieg all diesen Opfern widmete, da wurde es ziemlich still im Stadion. Ein russischer Akzent am Schluss, auch sehr markant.