Gipfel der europäischen Uneinigkeit

Bei der EU-Regierungskonferenz bestätigten Europas Staats- und Regierungschefs ihre gegensätzlichen Ansichten zur EU-Verfassung. Auch die Proteste von Gewerkschaften und Globalisierungskritikern auf Roms Straßen boten kein einheitliches Bild

aus Rom MICHAEL BRAUN

Jede Menge Lächeln und reichlich gute Laune: Die 28 am Samstag in Rom zur EU-Regierungskonferenz versammelten Staats- und Regierungschefs machten heftig auf Harmonie. Eine Harmonie allerdings, die sich schon nach ihrer zweistündigen Auftaktsitzung auf bloß einen Punkt zusammenkürzte: Alle wollen die neue europäische Verfassung – jeder aber beharrte auf den eigenen Positionen. Entsprechend schnell waren die Resultate referiert; Kanzler Schröder zum Beispiel brauchte nur ein paar Minuten, um die Öffentlichkeit ins Bild zu setzen. Natürlich dürfe über den Konventsentwurf diskutiert werden – mehr aber auch nicht. Wer das Paket jetzt aufschnüre, trage die Last, einen neuen Konsens herzustellen.

Da hatten sich die Aufschnürer schon ans Werk gemacht. Zahlreiche Kapitel sind weiter ungelöst: Zusammensetzung der Kommission, Stimmgewichtung in der EU, Mehrheitsabstimmungen oder Einstimmigkeit, Prozeduren für zukünftige Modifikationen der Verfassung. Vor allem Spanien und Polen machten deutlich, dass sie einer Reduzierung ihres Gewichts nicht zustimmen wollen. Aber auch Kommissionspräsident Romano Prodi wiederholte seinen von den „Kleinen“ in der EU geteilten Standpunkt, der Konventsentwurf sei „ein hervorragender Ausgangspunkt“, sprich: nicht das Gelbe vom Ei.

Da blieb EU-Ratspräsident Silvio Berlusconi nichts anderes übrig, als auf der Pressekonferenz erstmals die Möglichkeit einer kräftigen Verzögerung in Aussicht zu stellen. Wenn die Einigung nicht bis Dezember, sondern erst unter der folgenden irischen Ratspräsidentschaft erfolge, sei das kein Drama. In ihrer gemeinsamen Erklärung brachten die Staats- und Regierungschefs allein den „Wunsch“ zum Ausdruck, „den Abschluss der Verfassungsverhandlungen“ – nicht aber die Unterzeichnung – „rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004“ hinzukriegen.

Einen Trost haben die Politiker: Auch die Protestfront hatte Schwierigkeiten mit der Kompromissfindung. Im Zentrum Roms waren etwa 50.000 Menschen auf der Demo des Europäischen Gewerkschaftsbundes unterwegs, um für ein soziales Europa einzutreten. Derweil zogen an die 20.000 Globalisierungskritiker durch das im Süden der Stadt gelegene EUR-Viertel, in dem der Gipfel stattfand. Ihre Parole – die die Gewerkschaften nicht mittragen wollten – hieß: „Ihr 15, wir 400 Millionen“, und ihre Forderungen reichten von der Ächtung des Krieges in der Europäischen Verfassung zu einem europäischen Bürgerrecht, das auch den hier lebenden Immigranten eingeräumt werden müsse. Wie beim G-8-Gipfel in Genua stießen in der Demo verschiedene Formen des Protestes aufeinander. Das Gros der Teilnehmer beschränkte sich auf den friedlichen Marsch. Einige tausend „Ungehorsame“ dagegen wollten auf symbolische Aktionen nicht verzichten. Sie versuchten, vorneweg die Frauen unter den „Disobbedienti“, bewehrt mit Plastikschilden die Polizeikette vor dem Kongresspalast zu durchbrechen, und warfen den einen oder anderen Farbbeutel. Die Situation eskalierte, als ein aus rund 200 Leuten bestehender schwarzer Block eingriff. Sie hatten schon vor der Demo eine Zeitarbeitsagentur in Brand gesetzt, dann gegenüber dem Kongresspalast die Scheiben einer Bank eingeworfen, wobei es zu heftigen Rangeleien mit anderen Demonstranten kam. Die Leute vom schwarzen Block bewarfen nun die Polizisten mit Steinen und Flaschen. Die Antwort kam prompt: Per Tränengas und Knüppeleinsatz trieben die Ordnungshüter die Demonstranten auseinander. Die Bilanz: einige Dutzend Leichtverletzte und 50 Festnahmen.