Den Chef ruhig verpfeifen

Viele Unternehmen behaupten von sich, gerade in ökologischen, ethischen oder sozialen Belangen kompetent zu sein. Anleger müssen sich oft mit Selbstauskünften bescheiden – aber nicht immer

Im englischen Sprachraum gibt es einen eingeführten Begriff dafür: „Whistleblower“ nennt man Menschen, die aus Gewissensgründen ihre Existenz aufs Spiel setzen und sich an die Öffentlichkeit wenden, wenn ihr Arbeitgeber unethisch handelt. „To blow the whistle“ bedeutet in diesem Zusammenhang, Alarm zu schlagen, damit die Gesellschaft von den heimlichen Praktiken erfährt und etwas dagegen unternehmen kann. Und oft genug bedeutet es gleichzeitig das Aus für die persönliche Karriere und die Kündigung oder gar die soziale Isolation für den Whistleblower. In den USA und in England gibt es längst Schutzgesetze für Menschen, die derart das gesellschaftliche Interesse über ihr eigenes stellen. In Deutschland ist die Forderung nach einem Schutzgesetz bisher folgenlos geblieben.

Im September fand in Starnberg die erste internationale Whistleblower-Konferenz in Deutschland statt und hat auch hierzulande der Bewegung neuen Auftrieb gegeben. Es gelang der in Wolfratshausen ansässigen „Ethikschutz-Initiative“, eine exklusive Auswahl von Whistleblowern und ihren Unterstützern aus aller Welt zusammenzubringen, die von ihren Erfahrungen berichteten und alles taten, den deutschen Konferenzteilnehmer bei ihren Ideen für den Aufbau eines deutschen Netzwerks für Whistleblower zur Seite zu stehen.

Beeindruckend zum Beispiel die Schilderung von Harry Templeton aus Glasgow, der es einst als Betriebsrat einer schottischen Tageszeitung wagte, dem großen englischen Zeitungszaren Robert Maxwell Paroli zu bieten, als dieser die Zeitung aufkaufte und sich ohne großes Zögern daran machte, die Rücklagen des Pensionsfonds der Arbeiter und Angestellten für seine Spekulationsgeschäfte zu verwenden. Erst als Maxwell 1991 starb, wurde nachgewiesen, dass er 400 Millionen Pfund aus dem Rentenfonds der Firmengruppe genommen hatte, um andere Geschäfte finanzieren zu können. Templeton wurde zwar nachträglich rehabilitiert, aber in der Zwischenzeit hatte er nicht nur seinen Job verloren, sondern auch bemerken müssen, wie zahlreiche alte Freunde nach und nach von ihm abfielen. Trotz dieser existenziellen Bedrohung und zeitweisen sozialen Isolation antwortet Harry Templeton mit einem klaren „Ja“, wenn man ihn fragt, ob er heute wieder so handeln würde. Mit dieser Haltung steht er in Übereinstimmung mit 90 Prozent der Whistleblower, die trotz der schweren Nachteile, die sie in Kauf nehmen mussten, sofort wieder genauso handeln würden.

Die deutschen Tagungsbeiträge warfen vor allem ein Licht darauf, welche Mechanismen dafür sorgen, dass Whistleblowing bei uns effektiv unterdrückt wird. So konnte der ehemalige Frankfurter Staatsanwalt Erich Schöndorf aus eigenem Erleben berichten, wie am Beispiel des „Holzschutzmittel-Prozesses“ gegen die Gesowag-Bayer Druck auf ihn ausgeübt wurde, um den Prozess zu beenden. Der Steuerfahnder Werner Borchinger zeigte im Frühjahr 1995 führende Beamte in der Oberfinanzdirektion Münster wegen Verdachtes der Strafvereitelung im Amt an, als im die Ermittlungen gegen ein regional ansässiges Unternehmen aus der Hand genommen werden sollten. Zwar hat die Staatsanwaltschaft seinen Vorwurf bestätigt, aber seitdem wurde er rechtswidrig versetzt, gemobbt, nicht mehr befördert und ist wegen der psychischen Belastung erkrankt.

Die Geschäftsführerin der „Ethikschutz-Initiative“, Antje Bultmann, brachte die Würdigung des Verhaltens von Whistleblowern auf eine griffige Formel: „Whistleblower sind Helden.“ Sie sind dies nicht nur, weil sie in vollem Bewusstsein der Risiken, die sie eingehen, die Wahrheit sagen, sondern auch, weil sie in vielen Fällen bereits dazu beigetragen haben, gesellschaftliche Schäden wieder gutzumachen und für die Zukunft zu verhindern. Und weil sie uns auch ein wichtiges Korrektiv bieten können, wenn wir die ethische Qualität von Unternehmen, Behörden oder Institutionen einschätzen wollen. Es liegt auf der Hand, dass sie auch für die Bewertungen von Unternehmen für das ethische Investment unschätzbare Dienste erweisen könnten. Allerdings wäre es dazu notwendig, auch in Deutschland Strukturen zu schaffen, in denen das Whistleblowing nicht als negative Handlungsweise, sondern als eine besonders wertvolle Art der gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme angesehen wird. Ein Blick in das Ausland zeigt, dass dazu häufig nur eine Initialzündung notwendig ist.

Die amerikanische Schutzorganisation GAP ist zum Beispiel aus einer Konferenz entstanden und in den 26 Jahren ihrer Existenz von zwei auf fünfundzwanzig Beschäftigte gewachsen, ihr Budget stieg von 30.000 Dollar auf 1,7 Millionen Dollar an. Die Potenziale für Whistleblowing und ihre Schutzorganisationen dürften auch in Deutschland gewaltig sein. Noch auf der Starnberger Konferenz trafen sich relevante Organisationen, die die konzeptionelle und organisatorische Vorbereitung eines Schutz-Netzwerkes auch in Deutschland gemeinsam vorantreiben wollen. VOLKMAR LÜBKE

www.ethikschutz.deDer Autor ist Vorstandsmitgliedder Verbaucher Initiative