Versöhnliche Hexe im Maximilianeum

Barbara Rütting, Exschauspielerin, Tierschützerin, Kochbuchautorin, hat viele Windungen der grünen Kultur und Politik mitgemacht. Heute leitet sie als Alterspräsidentin die erste Sitzung des frisch gewählten Bayerischen Landtags

MÜNCHEN taz ■ Millionen Tiere atmen auf, hat ihr neulich jemand geschrieben. Nicht, weil sich immer mehr Menschen vegetarisch ernähren, sondern weil sie, Barbara Rütting, jetzt für Bündnis 90/Die Grünen in den Bayerischen Landtag einzieht. Und das nicht nur als Abgeordnete und Tierschutzbeauftragte ihrer Fraktion. Heute wird die 75-jährige frühere Schauspielerin als Alterspräsidentin die konstituierende Sitzung des neu gewählten Landtags leiten. Sie sieht sich einer überwältigenden Mehrheit von CSU-Abgeordneten gegenüber, die mehr als zwei Drittel des Maximilianeums besetzt halten.

Doch solche Widerstände schrecken Barbara Rütting wenig. Seit sie ihre Film- und Fernsehkarriere vor gut zwanzig Jahren aufgab, um sich fortan in der Friedensarbeit, als Ernährungsberaterin und für den Schutz der Tiere zu engagieren, hat sie sich sowieso eine Menge anhören müssen – dass sie vorübergehend der yogi-fliegenden Naturgesetzpartei angehörte, trug einiges dazu bei. „Spinnerin“ war noch der harmloseste Ausdruck, als sie sich die Haare auf Streichholzkürze stutzte und in Mutlangen gegen Pershings protestierte. Als „grüne Bio-Backtante“ verspottete sie die taz nach Erscheinen mehrerer Vollwert-Kochbücher, die den Dinkel-Bratling im deutschen Haushalt einführten. Jutta Ditfurth verdächtigte Rütting der Mitgliedschaft bei „rechtsextremen Esoterik- und autoritären Sexsekten“. Selbst als nun ihre Wahl in den Landtag feststand, höhnte die Süddeutsche Zeitung in Anspielung auf eine ihrer bekanntesten Filmrollen über die „Geierwally“, die die Herrenrunden im Landtag das Fürchten lehren werde.

Auch bei den bayerischen Grünen stieß ihre Kandidatur nicht nur auf Begeisterung, schließlich hatte sich Rütting aus der Partei zwischenzeitlich verabschiedet, weil die sich „vom Pazifismus abgekehrt“ hatte. Doch die von Verbraucherministerin Renate Künast verkündete Agrarwende holte sie zurück.

Jetzt will Barbara Rütting insbesondere ihre ausgeprägte Integrationsfähigkeit in den Politikalltag einbringen: „Ich kann begeistern, ich will liebevoll und sanft mit den Menschen umgehen. Ich kann sehr gut versöhnen.“ Es bleibt allerdings fraglich, ob sie diese Fähigkeiten in einem Landtag anwenden darf, in dem die CSU so gut wie keine Rücksicht auf die Mini-Opposition nehmen muss. Vielleicht muss sie da eher auf ihre schauspielerischen Fähigkeiten zurückgreifen, die sie in den Fünfzigerjahren berühmt werden ließen. Nach ihrem Debüt im zu Recht vergessenen Steifen „Postlagernd Turteltaube“ und diversen Heimatstreifen spielte sie bald zusammen mit Hollywood-Stars wie Gary Cooper und Kirk Douglas, etwa im Gesellschaftsdrama „Stadt ohne Mitleid“.

Einen gewissen Kultstatus verschafften ihr in Deutschland bis heute ihre Rollen in düsteren Sechziger-Jahre-Krimis wie den Edgar-Wallace-Verfilmungen „Der Zinker“ und „Neues vom Hexer“, in denen sie als mysteriöse und subtil verlockende Dunkelhaarige das perfekte Gegenstück zur den eher unschuldigen Heldinnen jener Zeit wie Karin Dor verkörperte.

Allerdings plagten sie bereits damals Zweifel an ihrer Rolle im von gnadenlosem Konkurrenzdenken geprägten Filmgeschäft. Den Wunsch, Schauspielerin zu werden, hat sie später als eine Art Flucht aus der Wirklichkeit in eine schönere Traumwelt interpretiert. Diese Sorge wird sie als Grüne im Bayerischen Landtag ganz gewiss nicht plagen. Aber vielleicht gelingt es ihr dank ihrer Prominenz und Medienwirksamkeit des Öfteren, der CSU die Show zu stehlen. So wie heute.

JÖRG SCHALLENBERG