Ein Kleid aus Gel statt Gift

WWF-Forschungsprojekt zeigt: Es gibt viele Möglichkeiten, Schiffsrümpfe ohne geschlechtsveränderndes TBT und andere Biozide von Bewuchs freizuhalten. Der Trick: Von der Natur lernen heißt Seepocken und Algen fernhalten

aus HamburgGERNOT KNÖDLER

Tributylzinn (TBT) ist ein Schocker. Die Organozinn-Verbindung ist so giftig, dass weder Alge noch Muschel noch Seepocke an einem Schiffsrumpf festmachen kann, der damit bestrichen ist. Durchpflügt ein Schiff die Meere, wird ein Teil des Anstrichs abgerieben; TBT gelangt ins Wasser, wo es als Hormon weibliche Schnecken zur Geschlechtsumwandlung veranlassen kann. Weil dafür winzige Konzentrationen ausreichen, ist ein Verbot des Stoffes in Arbeit (siehe Kasten). Langzeittests im Auftrag der Umweltorganisation WWF und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) haben jetzt gezeigt, dass Seeschiffe auf jegliches Gift im Anstrich verzichten können.

Zwischen 1998 und 2003 haben die beiden Organisationen 117 alternative Beschichtungen auf 20 Schiffen testen lassen. Darunter waren Containerschiffe, Tanker, Kreuzfahrtschiffe, Personenfähren, Forschungs- und Kriegsschiffe. Ergebnis: Die optimale Beschichtung variiert je nach Geschwindigkeit oder Liegedauer im Hafen. Die Kosten sind mit denen herkömmlicher Anstriche vergleichbar, sofern berücksichtigt wird, dass einige der neuen Beschichtungen seltener erneuert werden müssen.

Grundsätzlich gilt: „Biozidfreie Anstriche brauchen Bewegung“, wie Burkard Watermann vom Hamburger Forschungsinstitut Limnomar sagt. Denn die alternativen Beschichtungen schaffen eine Oberfläche, an der sich die Meeresorganismen nur schwer festhalten können. Sind die Schiffe in Bewegung, wird der Bewuchs abgewaschen.

Die 15 Farbenfirmen, die sich an dem Versuch beteiligten, schauten sich ihre Ideen bei der Natur ab. Auf einem mit Silikon überzogenen Schiffsrumpf versagen die Haftmechanismen von Seepocken ebenso wie auf dem Gel, das die Haut mancher Delfinarten bedeckt. Limnomar zufolge eignet sich eine solche Beschichtung für schnell fahrende Schiffe mit kurzen Liegezeiten, wie Containerschiffe. Die Silikonschicht kann aber beim Andocken oder durch Eisgang leicht zerstört werden.

Dem Häuten und Schuppen von Meerestieren abgeguckt sind erodierende Anstriche. Diese lösen sich beim Fahren ab und mit ihnen Pflanzen und Tiere. Sie haben sich besonders bei küstennah operierenden Schiffen wie Fähren bewährt. Sie aufzutragen, ist allerdings eine Kunst für sich, weil das Wasser den Schiffsrumpf unterschiedlich stark angreift. Mikrofaserbeschichtungen von der Art kurzen Samts bilden das Fell von Robben und Seehunden nach. Das Mikrofaser-Fell eignet sich für langsame Schiffe, ist aber schwierig anzubringen.

Pötten, die schnell fahren und häufig die Gewässer wechseln, genügt dagegen ein normaler Anstrich. Pazifischen Seepocken, groß wie Tulpen, ist es im Atlantik zu kühl, und Seepocken aus dem Atlantik fühlen sich in der Elbe unwohl.

Doch wehe, der Reeder vergisst bei der Routenplanung, dass sein Schiff keinen Schutzanstrich hat. „Ein Schiff war so bewachsen, dass es nur mit Schlepperhilfe im Hamburger Hafen einlaufen konnte“, sagt Watermann. Ein Pocken- und Muschelgebirge hatte es manövrierunfähig gemacht.