Gwynnie gehorcht aufs Wort

Als NVA-Oberst bewachte Frithjof Banisch die DDR-Grenze. Heute ist er Herr über 600 Tiere im Wildpark Baruth, den er auf dem ehemaligen Erholungsgelände für die Sowjets errichtet hat

von STEFFEN BECKER

„Bei mir hat noch keiner schlapp gemacht“, sagt Frithjof Banisch mit lauter, tiefer Stimme, in einem Ton, der klar ausdrückt: „Ich habe das Kommando.“ Sein Gegenüber, die Leiterin einer Gruppe alter Damen, zwei Köpfe kleiner, sagt nichts mehr. Dann führt Banisch die Damen zum Eingang des Wildparks Johannismühle bei Baruth, 45 Kilometer südlich von Berlin – sein Wildpark. Eines stellt er von vornherein klar: „Der Kunde ist bei uns nicht König, er ist Gast.“

Die 100 Hektar des jüngsten Wildparks Deutschlands gehören ganz den 600 Tieren. Tieren, die nach der Eiszeit in Deutschland lebten und dort inzwischen ausgestorben sind. „Damit die Leute sehen, was wir an wunderschönen Lebewesen schon platt gemacht haben“, sagt Banisch. Auf dem Rundweg, den die Besucher auf gar keinen Fall verlassen dürfen, spazieren die Damen an einem großen Freiluftgehege mit Wisenten und Auerochsen vorbei. Dam- und Rotwild leben gar völlig frei. Eine Leitkuh springt heran und beschnuppert die Gruppe. Die Damen raunen entzückt: „Aaaah“, Banisch befiehlt: „Zurück zur Herde Gwynnie“. Die dominanten Tiere kennt er alle mit Namen, Gwynnie gehorcht. Natürlich. Dann ertönt ein Klingeln: Fütterung. Ein Mitarbeiter Banischs füllt den Trog, wartet dann, um zu prüfen, ob das Wild gesund ist. Banisch erläutert das so ausführlich, weil Westbesucher die Szene schon mit einem „Ihr Ossis habt immer noch nicht kapiert, dass Arbeit nicht nur aus Rumstehen besteht“ kommentierten. Die Damen murmeln zustimmend.

1994 war das noch anders, da galt Banisch noch als „rote Sau“. Er hatte als Oberst der NVA gedient, aus Überzeugung, weil nur Abschreckung den Frieden sichern konnte. „Ich stehe zu meinem Leben und habe nie einen Hehl aus meiner Vergangenheit gemacht“, sagt er. Der „Militär des Unrechtsregimes“ pachtete das ehemalige Erholungsgelände des sowjetischen Oberkommandierenden – seit jeher Sperrgebiet, und für die Bauarbeiten am Park bleibt das Tor weiter zu. Eine Symbolik, die fünf Jahre nach Mauerfall manche im Ort provozierte.

Drei Jahre später, als der Park eröffnet wird, hat sich die Stimmung gedreht. Banisch hatte elf Banken abgeklappert, um die maroden Anlagen der Sowjets sanieren zu können, die Fürstenfamilie zu Solms-Baruth überzeugt, ihre Ansprüche auf das Gelände aufzugeben, den Marathon durch die 43 Institutionen durchgehalten, die dem Park ihren Segen geben mussten. „Mein Beruf brachte es mit sich, dass ich wusste, wie die BRD-Behörden ticken.“ Diese Leistung brachte ihm Respekt ein und dem Park aktuell 80.000 Besucher pro Jahr. Die alten Damen bewundern vor allem die fünf Braunbären, die Banisch auf mehreren Hektar zusammen mit einem Rudel Polarwölfe hält.

Die Tiere stammen aus dem abgewickelten Staatszirkus der DDR. Der Treuhandverwalter wollte sie 1999 an einen heruntergekommenen georgischen Zoo geben. Doch Zirkusmitarbeiter protestierten, die Medien nahmen sich der Geschichte und Banisch der Bären an. Für eine gute Presse war der Liquidator gar bereit, einen Teil der Kosten für das Gehege zu übernehmen. Bei Banisch wird er für 1,16 Mark auch drei Tiger los, die sonst hätten erschossen werden müssen.

Bären wie Raubkatzen leben in Anlagen mit weitmaschigem Elektrozaun. Die Tiere sollen sich nicht eingesperrt fühlen. „So sicher wie nötig, so moderat wie möglich“, beschreibt Banisch sein Konzept. Wassergraben, Beton im Boden und Gitter – „das ist überholtes Sicherheitsdenken“, sagt der Mann, der als Mitglied des oberen Führungsstabes der Grenztruppen die grüne Grenze des Freiluftgeheges DDR bewachte und die Befestigungen zumindest bis Ende der 70er angesichts des Kalten Krieges für voll gerechtfertigt hielt.

Mit der Wende nahm Banisch seinen Abschied vom Militär, weil er nicht mehr in den Spiegel hätte schauen können, wenn er nahtlos vom Warschauer Pakt in die Nato gewechselt wäre. „Ich habe meinen Beruf gelebt“, sagt Banisch. „Aber jetzt ist der Park meine Lebensaufgabe.“ Eine, die sich bei näherer Betrachtung gar nicht so sehr vom Offiziersjob unterscheidet. Die geplante Erweiterung der Anlage erfordert strategisches Geschick. In fünf Jahren soll er doppelt so groß sein, der Bestand seiner großen Grasfresser auf Herdenstärke wachsen, damit die geplanten 120.000 Besucher die Natur so erleben können wie ihre Steinzeitvorfahren. Alles ohne Fördermittel, „weil diese Geldtöpfe im praktischen Leben Figuren wie mir verschlossen bleiben“. Die Rolle des Bittstellers ist nicht die seine.

Trotzdem haben Banisch und seine elf Angestellten sich in der Marktwirtschaft gut einrichten können. Reich wird er nicht werden. Teile der Kredite für die 3,5 Millionen Mark Investitionen muss er noch zurückzahlen. Aber der Mittfünfziger hat sich und anderen bewiesen, dass er mit der Wende nicht automatisch zum „Schrott“ gehört.

Die alten Damen bewundern seine Haltung, Banischs ruppiger Charme funktioniert. Als er den Rundgang beim Wildpferd-Gatter beendet, gratulieren sie ihm überschwänglich, bestätigen sich gegenseitig, wie schön die Wald-, Wiesen- und Teichlandschaft ist. Und Banisch hat natürlich Recht behalten: Keine der Damen hat schlapp gemacht.