Picklig ins Herz der Finsternis

Die Jugendsünde eines kratzbürstigen Abkömmlings von Thomas Pynchon: Der amerikanische Schriftsteller William T. Vollmann erzählt in seinem Buch „Afghanistan Picture Show“ davon, wie er als junger Mann nach Afghanistan ging und an der Seite der Mudschaheddin gegen die Sowjetarmee kämpfte

von HARALD FRICKE

Das Buch hat lange gelegen. Schon 1983 erhielt William T. Vollmann sein Manuskript vom Verlag Houghton Mifflin zurück, weil keine Aussicht auf ein größeres Publikum bestand. Änderungen und Überarbeitungen folgten – die politische Lage in Afghanistan aber war bereits im Wandel. Als 1992 „An Afghanistan Picture Show; or, how I saved the world“ bei Farrar, Strauss and Giroux erschien, konnte die Kritik nicht viel mit Vollmanns literarischer Vor-Ort-Reportage anfangen – „Was soll uns das heute sagen?“ war der Tenor der Besprechungen. Schließlich kam das Buch im gleichen Monat auf den Markt, da die letzten russischen Soldaten abziehen mussten und Afghanistan eine eigene Verfassung erhielt.

Dass es dennoch kaum Verrisse gab, mag an Vollmanns mittlerweile hoher Popularität gelegen haben: Seit seinem Debütroman „You bright and risen angels“ (1987) gilt er als einer der wichtigen Schriftsteller der USA, wird gerne in einem Atemzug mit Jonathan Franzen oder David Foster Wallace genannt und öfter auch mal als kratzbürstiger Abkömmling von Thomas Pynchon bezeichnet. In bald 15 Büchern hat sich Vollmann an einer Chronik Amerikas abgearbeitet, in der Gewalt und Eigennutz den Lauf der Dinge bestimmen. Warum also groß Aufhebens machen wegen einer Jugendsünde?

Tatsächlich kann man Vollmanns Entschluss, mit 22 Jahren nach Afghanistan zu gehen und im Untergrund an der Seite der Mudschaheddin gegen die Sowjets zu kämpfen, von heute aus so interpretieren: als leidenschaftlichen, ungestümen, politisch durch und durch fragwürdigen Akt der Rebellion. Vollmann möchte das Land von der ersten Seite an wie ein postmoderner Hemingway am liebsten im Alleingang befreien. Deshalb reist er 1982 mit einer Kamera und ein paar hundert Dollars nach Pakistan, lässt sich über die Grenze schleusen und dringt bis zu einem Partisanencamp vor.

Dort stellt sich jedoch heraus, dass er für den bewaffneten Kampf völlig ungeeignet ist. Körperlich ist er den Belastungen an der Front nicht gewachsen und seine Herkunft löst mehr Misstrauen als Begeisterung aus – gestandene CIA-Männer und Waffen wären den Mudschaheddin eine größere Hilfe als dieser picklige „junge Mann“, der dauernd Lenin oder Wittgenstein zitiert und von dem Vollmann rückblickend eher abfällig in der dritten Person spricht.

Aus dieser Schieflage entwickelt „Afganistan Picture Show“ eine trotzdem verblüffende erzählerische Stärke. Ohne militärische Kenntnisse oder gar Tugenden hat Vollmann noch in äußersten Notsituationen ein extrem scharfes Auge für klare Beschreibungen. Schon in den kurzen Wochen, die er an der Front verbringt, stellt sich ihm der afghanische Widerstand als eine Gemengelage aus verfeindeten, nur durch den gemeinsamen Gegner zusammengeschweißten Clans dar, die von Intrigen und Herrschaftsdünkel gezeichnet ist. In den Flüchtlingslagern an der Grenze nach Pakistan sieht er überfordertes Unicef-Personal, ebenso rational wie hilflos agierende Ärzte und immer wieder die menschenunwürdigen Lebensbedingungen der Frauen. Sein Versuch, den Konflikt aufgrund der eigenen Erfahrungen zumindest verstehen zu können, mündet in der Erkenntnis, dass er sich höchstens den katastrophalen Verhältnissen angeglichen hat. Im Krieg wird jeder Mensch zum Objekt degradiert, könnte ein Resümee lauten. Am Ende ist Vollmann zu dankbar, überhaupt dem Elend entflohen zu sein, als dass er noch nachdenken würde. Insofern ist „Afghanistan Picture Show“ ein genaues Abbild seines Scheiterns, das in der formalen Konfusion umso nachhaltiger durchschlägt – als chaotisches Geflecht aus tagebuchartiger Reisereportage und Interviewschnipseln, gespickt mit Zeitsprüngen und Kindheitserinnerungen. Mal ist man mit ihm auf dem Weg ins Herz der Finsternis, mal spürt man Vollmanns Angst davor, nur einem Phantom aufzusitzen und als Fremder nie an der afghanischen Gesellschaft teilhaben zu können. Nur die schüchterne Sympathie für die von ihm porträtierten Widerstandskämpfer besteht bis zuletzt. Diese Haltung ist für Vollmann nach dem 11. September zwangsläufig zum Problem geworden. Schon zwei Wochen nach den WTC-Attentaten warnte er im L. A. Weekly vor einer Verurteilung der afghanischen Bevölkerung und nahm selbst die Taliban in Schutz, deren Regime seiner Meinung nach dem Land weniger Schaden zugefügt habe als vergangene und bevorstehende Kriege. Dabei mag Vollmann durchaus an die entsetzlichen Leiden der Kinder in den Flüchtlingslagern gedacht haben; dass er darüber den Terror des islamistischen Gottesstaates ausgeblendet hat, lässt sich allerdings kaum mit Barmherzigkeit erklären, höchstens mit politischer Blindheit.

Auch in der Übersetzung hängt „Afghanistan Picture Show“ also den Ereignissen hinterher. Und Vollmann? Hat gerade eine Rezension zu „On the natural history of destruction“ geschrieben, das ist die englische Fassung von W. G. Sebalds „Luftkrieg und Literatur“.

William T. Vollmann: „Afghanistan Picture Show“. Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg. Marebuch-Verlag, Hamburg 2003, 320 Seiten, 18 €