In sich versunken in die Zukunft

Wie belastend die Liebe für eine junge Frau doch sein kann: Hella Eckert studiert auch mit ihrem dritten Roman, „Da hängt mein Kleid“, ein Frauenleben im Vierjahresrhythmus

Kann es Zufall sein, dass sie sich für ihren dritten Roman genauso viel Zeit gelassen hat, wie Lebensjahre zwischen ihren verschiedenen Protagonistinnen liegen? Ihren zweiten Roman, „Hanomag“, stellte Hella Eckert 1998 fertig, die Heldin hieß Rita und war fünfzehn. Jetzt ist man in „Da hängt mein Kleid“ mit dabei, wie die neunzehnjährige Nellie bei Salamander Schuhe verkauft und sich nicht ganz sicher ist, ob sie in Max den Mann ihres Lebens gefunden hat. Geschrieben hat Hella Eckert den Roman über die junge Frau im Zeitraum von vier Jahren – und zwar in Heidelberg, Berlin und dem südfranzösischen Les Mazes. Beim Lesen meint man, Nellie trage die Einsamkeit der Nächte in den Cevennen in sich, sehne sich insgeheim nach der Umtriebigkeit der Metropolen, könne so richtig zufrieden aber nur in überschaubaren Kleinstädten leben.

Aber der Reihe nach. Zuerst ist frappierend, wie Eckert uns Nellie näher bringt. Einerseits hat man es mit einer sinnlichen Frau zu tun, die während eines Jahrhundertsommers ganz in ihrer Liebe zu Max aufgeht. Andererseits wirkt sie wie ein dunkler Gebirgssee, dessen Oberfläche unberührbar zu sein scheint.

Hella Eckert hat in ihrem dritten Roman einen Ton des Erzählens zur Meisterschaft entwickelt, den man entbergendes Verbergen nennen kann. Sie gibt nie direkt preis, was sich in Nellies Innerem abspielt. Durch die Art und Weise allerdings, wie sie lakonisch und mit trockenem Humor durch Nellies Tage und Nächte führt, erfahren wir sehr viel über die junge Frau. Man versteht, dass sie das Leben mit Max in vollen Zügen genießen will, aber auch Angst hat. Vielleicht hindert die sie daran, ihn zu fragen, was er eigentlich den ganzen Tag so treibt. Mit der Treue nimmt er es nicht so genau. Zieht er umher mit Freund Goya, der nicht nur so heißt, sondern gelegentlich tatsächlich Bilder verkauft, sind wohl immer wieder andere Frauen im Spiel. Von all dem allerdings bleibt Nellie unberührt. Selbst als ihre Mutter stirbt, zeigt sie kaum Reaktionen. Lebhafter verhält sie sich dann wieder, wenn es um ihre wiederum vier Jahre ältere Schwester Mina geht, die Lehrerin ist, Valium schluckt und gegen Ende des Romans eine tödliche Dosis nimmt.

Zu diesem Zeitpunkt hat Hella Eckert hier und dort dezent den Schleier gelüftet und deutlich gemacht, warum Nellie so in sich versunken wirkt. Sie hat wohl schon einmal erlebt, wie ein Freund sich umgebracht hat. Seither wird sie von Schuldgefühlen geplagt. Und dann ist da auch dieses merkwürdige Verhältnis zu Mina, die ihr auf die Nerven geht, die sie aber bei sich und Max einziehen lässt, um regungslos zuzusehen, wie die beiden eines Nachts miteinander schlafen. Am Ende weiß man, dass Nellie Goldberg selbst gefährdet ist. Alles sieht danach aus, als habe sie letzlich das Leben gewonnen. Da man sich dessen allerdings nie sicher sein kann, liest man atemlos weiter und stößt auf die ein oder andere Parallele zu Motiven aus früheren Romanen. Max hat etwas von der Unstetigkeit des Vater in „Hanomag“, der seine Frau und die fünfzehnjährige Rita verlässt, obwohl das Mädchen eine starke Bindung an den Vater hat. Rita sieht aus nächster Nähe, wie die Liebe zwischen Vater und Mutter erkaltet.

Die vier Jahre ältere Nellie erlebt zum ersten Mal, wie die Liebe plötzlich aufflammt und welche Ängste sie hervorruft. Blickt man etwas weiter zurück auf „Big John“ und das elfjährige Mädchen, das in Eckerts erstem Roman wie eine Lolita der Fünfzigerjahre erste Formen des koketten Spiels erlernt, bekommt man den Eindruck, die jetzt wieder in Heidelberg lebende Autorin studiere die allmähliche Verfertigung eines Frauenlebens in Vierjahresschritten. So gesehen müsste ihre nächste Heldin 23 Jahre alt sein. JÜRGEN BERGER

Hella Eckert: „Da hängt mein Kleid“. Luchterhand Verlag, München 2003, 238 Seiten, 18 €