strafplanet erde: die buchmessenreise von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Schweißgebadet, wenn nicht gar schweißverklebt wachte der nicht allzu viel versprechende Nachwuchsautor H. zu Hause auf, als der Morgen längst im Fensterrechteck ein nasses Grau in Grau präsentierte. Es war der Eröffnungstag der Buchmesse, da musste er gar nicht auf das Datumsfeld seiner Uhr schauen, da konnte er sich den Blick auf den Kalender sparen, das war ihm in Pentium-X-Geschwindigkeit eingefallen.

Im Schlaf hatte er eines dieser Gesichte gehabt, wie er sich auszudrücken pflegte, um das prosaische und zu Tode verwendete Wort Traum zu vermeiden. Diese zwanghafte Synonymisiererei dürfen Außenstehende behutsam ignorieren, zumal unser braver Autor sie sich mutmaßlich damals im Deutschhochleistungskurs hatte eintrichtern lassen von einem Lehrer, der nicht müde ward, Wortwiederholungen zu geißeln, ein rotes A wie Ausdruck an den Rand zu kritzeln.

Der Traum dieser Nacht war dem 52-jährigen H. nicht neu, es war keine Premiere, die seine hirneigene Traumfabrik da veranstaltet hatte, es war nicht einmal das Remake eines Klassikers, sondern Bild für Bild der gleiche wie etliche Male vorher.

Streng genommen konnte er sich an die Bilder nicht genau erinnern, aber das störte nicht, die Kino-Metapher fand er prima und merkwürdigerweise keineswegs zu Tode verwendet. Streng genommen erinnerte er sich nur an ein paar Pixel, die sich zu keinem kohärenten Gesamtbild fügten: H. war Kandidat und Geheimfavorit beim Sängerkrieg der Heidehasen (eine Reminiszenz seines Unbewussten an die eigene Kindheit, aus der viele Autoren in schöpferischster Weise schöpfen) und bester Dinge gewesen, bevor er durch skrupellose Machenschaften eines gewissen Doktor Wackelohr, seines heißesten Konkurrenten im Wettstreit um den Friedenspreis des Möhrenvereins und die Hand der Hasenprinzessin, die als Doppelprämie für den Sieger ausgelobt waren, am Tag des Finales verschlafen hatte, weil Doktor Wackelohr C.s Wecker manipuliert und auf eine Minute nach zwölf gestellt hatte. (Schachtelsätze, fiel H. ein, hatte der Deutschlehrer ebenso abgestraft wie Wortwiederholungen, da müsste er nochmal ran.)

Mit einem exakt 574 Seiten starken Manuskript hatte sich unser Autor auf den Weg nach Frankfurt machen wollen, immerhin die Stadt eines Bundesliga-Aufsteigers, ein gutes Omen. H.s Lebensgefährtin war nicht mehr da: Frühschicht. Sein Leitsatz funktionierte also noch: „Hauptsache gesund, und die Frau hat Arbeit.“ H. drehte sich noch einmal um, räkelte sich wie ein Grottenolm in seiner Grottenolmgrotte und blätterte in Günter Ohnemus’ Essaysammlung „Ein Macho auf der Suche nach einem Stuntman“, ein Glanzstück des vergangenen Bücherfrühlings, das mit dem Start des Bücherherbstes leider völlig verblasste. Da stand: „Ich glaube, ich dachte damals, wenn dieser Schriftsteller und die Welt einmal wirklich zusammenstoßen, dann könnte das ein sehr interessantes Geräusch geben.“

H. erbleichte, suchte den Blickkontakt mit seinem Wecker, der unbeirrt tickte, und verzichtete dann auf den zweiten Teil der Reise.