Dokumentation: Erinnerungen einer ehemaligen Zwangsarbeiterin in Köln
: „Es ist furchtbar, sich an die Qualen zu erinnern, die wir aushalten mussten“

Antonia Stepanenki ist eine der 19 ehemaligen ZwangsarbeiterInnen aus Russland und der Ukraine, die seit Sonntag zu Besuch in Köln sind. Ihre Erinnerungen an die Zeit in Köln hat sie für das NS-Dokumentationszentrum aufgeschrieben. Als 15-Jährige wurde Stepanenki aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt. Im Oktober 1942 kam sie ins Messelager Deutz. Bis Kriegsende wurde sie zu allen möglichen Arbeiten gezwungen, vor allem zu Aufräumdiensten nach Luftangriffen. Dabei trug sie eine Kopfverletzung davon, an der sie bis heute leidet.

„Wir waren sehr hungrig. Die Verpflegung war sehr schlecht, man hat für uns Rüben in Wasser gekocht oder Spinat. Und noch eine Scheibe Brot, 250 g pro Tag. Im Brot waren Holzspäne, beim Essen stach es sogar. Es gab auch solche Deutsche, die Lagerinsassen misshandelten und dabei lachten: Sie warfen eine Rote Beete hin, alle liefen dahin, stolperten und stürzten sich auf die Rote Beete wie Hunde. Und die Deutschen schlugen mit Peitschen zu und lachten sehr. Und wenn wir die Rote Beete gepackt hatten, dann haben wir sie in Stücke geschnitten und ganz schnell aufgegessen. Es ist furchtbar, sich an die Qualen zu erinnern, die wir in diesem Lager aushalten mussten. Die Arbeit war verschieden: Wir wurden dahin geschickt, wo es nötig war. Zur Arbeit und zurück wurden wir unter Bewachung mit Waffen geführt.

Am häufigsten wurden wir bei den Trümmern nach den Luftangriffen eingesetzt. Ich habe vergessen, wie ein Bahnhof hieß – wir wurden dahin zur Arbeit gebracht und vor uns stand da ein Galgen, an dem hing ein ‚Ostarbeiter‘ [so nannte man die Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion, Anm.d.Red.], an seinen Händen war Brot festgebunden. Wir guckten uns das an und weinten. Und im gleichen Moment kamen die schwarzen amerikanischen Flugzeuge, sofort wurde Alarm geschlagen und es begann ein Luftangriff. Wir hatten keine Zeit, uns irgendwo zu verstecken und warfen uns in eine Grube, die durch eine Bombe entstanden war. Dabei waren meine Freundinnen aus meinem Dorf (...).

Mit uns zusammen war noch ein russischer junger Mann, Iljuchin Nikolai Iwanowitsch. Und er wird auf der Stelle getötet. Und so waren wir fast jeden Tag unter Luftangriffen und nachts war es nie ruhig, die ganze Nacht durch wurde gebombt, besonders vor dem Ende. (...) Der Bunker war sehr tief, wir wurden dahin gebracht und dabei mit Peitschen getrieben. (...) Und wir, vier Mädels, haben uns (mal) auf den oberen Pritschen versteckt, wir haben gedacht, dass umzukommen besser wäre als so weiter zu leben. Wir waren kleine und magere Mädels. (...)

Wir kehrten im August ‘45 zurück. Wäre ich gesund, so würde ich ein ganzes Buch schreiben. Aber mein Gedächtnis ist schlecht geworden, seitdem der junge Mann in der Grube getötet wurde, wo wir auch gesessen haben. Mein Gedächtnis ist dann immer schlechter geworden. (...)

Es ist mir noch eingefallen, dass es auch unter den Deutschen gute Menschen gab. Eine Frau geht zur Arbeit und legt ihr mitgebrachtes Mittagessen ganz schnell beiseite und nickt mit dem Kopf: ‚Russisch, nehmen.‘ (...) Wir mussten um Brot betteln. ‚Frau, geben Sie mir Brot, ich habe Hunger.‘ Es gab gute Leute, die es gaben, es gab aber auch welche, die einem direkt ins Gesicht spuckten und uns „Russische Schweine“ nannten. (...) Wir bekamen eine dunkelgrün-graue Kleidung, auf der Brust trug ich ‚OST 1064‘, an den Füßen waren Holzschuhe. Es war furchtbar, zur Arbeit zu gehen – unsere Schuhe klapperten wie die Hufe der Pferde, die über den Asphalt gehen...“

Das Kölner Filmhaus zeigt morgen einen Film über das Schicksal eines Zwangsarbeiters: „Das Heimweh des Walerjan Wróbel“; anschließend Diskussion mit Gästen des Besuchsprogramms und C.U. Schminck-Gustavus, Autor der Buchvorlage (Mittwoch, 17.30 Uhr, Maybachstr. 111).