live on stage
: Schillers „Jungfrau“

„Wo bist du?“ Eine verzweifelte junge Frau ruft nach ihrem Geliebten. Als weiß verschnürtes Bündel hängt sie von der Decke herab, das lange schwarze Haar fließt wie ein Vorhang auf die Bühne des Hamburger Thalia Theaters. Ein Bild der Hilflosigkeit, der Einsamkeit, der Hoffnungslosigkeit steht da am Anfang von Andreas Kriegenburgs Inszenierung nach Schillers „Jungfrau von Orleans“.

Kriegenburg hat sich als bilderstarker, assoziationsreicher Regisseur antiker Frauengestalten wie Medea und Elektra einen Namen gemacht. Er verpasst auch Schillers pathetisch-angestaubter „Jungfrau“ eine moderne, emotionsgeladene bis radikal ernüchterte Gestalt. Die sieben Monologe, von Kriegenburg selbst verfasst und mit großer Leidenschaft zwischen Flüstern und Brüllen von Natali Seelig gesprochen, sind die einer Frau von heute, die Auto fährt und ganz normal leben und lieben will. Die aber im Laufe der dreistündigen Aufführung immer mehr den Glauben verliert – und sich von der marionettenhaft an langen Stricken hängenden Bauerntochter zur blutbefleckten Kriegsheldin und schließlich zur Hexe wandelt.

Denn da naht kein Retter, da befreit sie kein Geliebter und auch kein Gott von den Stricken. So platt es klingt: Sie muss sich selbst befreien. Bis Johanna die letzte, radikal individualistische Frage stellt: „Wo bin ich?“ Und der Vorhang fällt. Karin Liebe

Nächste Vorstellungen: 16. und 17.9., jeweils 20 Uhr, Thalia Theater Hamburg