Bremer Senat soll Position beziehen

Amnesty International kritisiert Innensenator Röwekamp (CDU). Der verletze rechtsstaatliche Prinzipien, indem er dem Guantanamo-Gefangenen Murat Kurnaz ohne jedes Verfahren das Aufenthaltsrecht abspreche

Röwekamps Signal: auf eine faire Verhandlung für Kurnaz kommt es nicht an

bremen taz ■ Amnesty International in Bremen will den Dialog mit dem Senat suchen – um zu klären: Wie steht eigentlich Bremens Regierung zu Menschenrechtsfragen, die Murat Kurnaz betreffen? Der heute 21-jährige Sohn türkischer Einwanderer, der in Bremen groß geworden und von hier aus im Herbst 2001 nach Pakistan gereist war, war unter bis heute unklaren Umständen nach Guantanamo gekommen. „Aber seit bekannt ist, dass Murat Kurnaz unter rechtswidrigen Bedingungen festgehalten wird, hat sich nur ein Mitglied der Bremer Regierung verhalten“, so Erhard Mische von Amnesty. „Das war Innensenator Röwekamp mit der Äußerung, dass Kurnaz keine Aufenthaltserlaubnis mehr bekommen soll.“ Dies sei empörend.

Rückendeckung bekam Mische am Sonntag in Bremen von Corin Redgrave, dem Mitbegründer der britischen Guantanamo-Human-Rights-Commission. Redgrave, Bruder von Schauspielerin Vanessa Redgrave, warnte, dass der Senator mit dieser Äußerung das bedauerliche Signal gebe, dass es auf eine faire Verhandlung für Kurnaz nicht ankomme – schon werde er vorverurteilt, „ohne dass jemand die Vorwürfe gegen ihn kennt.“

Tatsächlich hatte auch der von Kurnaz’ Mutter beauftragte Anwalt Bernhard Docke noch keinen Zugang zu seinem Mandanten. Das US-Verteidigungsministerium nutze jeden Winkelzug, um das Verfahren in die Länge zu ziehen. Noch immer seien die Vorwürfe gegen Kurnaz unbekannt, so der Anwalt. Weder Docke noch dessen US-amerikanischer Kollege hatten bisher Akteneinsicht oder Zugang zum Gefangenen. Nur einen einmaligen Briefkontakt habe er kürzlich herstellen können, so der Anwalt. Nun wisse Kurnaz wenigstens, dass er anwaltlich vertreten sei. Trotz des Entscheids des obersten Gerichtshofs in den USA, der den auf Kuba gefangen Gehaltenen im Sommer Klagemöglichkeiten einräumte, gehe alles „schneckenhaft langsam“ – und widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen.

Die Bedingungen eines persönlichen Kontaktes zwischen Anwalt und Mandant beispielsweise wolle das US-Verteidigungsministerium „quasi nur als Gnadenakt genehmigen, wenn überhaupt“. So könne der Anwalt seinen Mandanten nach aktuellem Stand nur treffen, wenn er sich einer Leibesvisitation unterziehe. Auch würde das Gespräch optisch und akustisch überwacht. Von den rund 600 Gefangenen soll bislang nur ein einziger seinen Anwalt getroffen haben – ein Australier, gegen den vor einer Militärkommission Anklage erhoben wird. Dies trifft für Kurnaz nicht zu.

Was für Kurnaz zutrifft – niemand weiß es. „Aber wir haben die Fälle der anderen Freigelassenen geprüft“, erklärte Redgrave. Diese Ermittlungen würden viele Fragen nach den Haftgründen vieler anderer Gefangener aufwerfen. So seien drei Männer aus England unter mysteriösen Umständen nach Guantanamo geraten. „Die waren eigentlich in der Gefangenschaft des afghanischen Warlords Dostum, wo man sie schlug und ihnen nichts zu essen gab. Dann plötzlich transportierte man sie nach Guantanamo“, fasste Redgrave zusammen*. Es bestehe der Verdacht, dass manche Guantanamo-Gefangenen Opfer von US-amerikanischen Kopfgeldjägern wurden, die gegen Prämien medienwirksam die Käfige auf Kuba zu füllen halfen. Dass nun – trotz mancher Foltergeständnisse – zahlreiche Gefangene ganz ohne Verfahren freikämen, spreche doch für sich, so Redgrave.

Der Brite berichtete zugleich von Fällen, wo unter Folter erzwungene Geständnisse als falsch entlarvt wurden. So habe der britische Geheimdienst MI5 erkannt, dass sich mancher unter dem Druck des Verhörs auf einem Video erkannte – hinter Bin Laden stehend. „Das Video stammte aber aus einer Zeit, als ein Geständiger beispielsweise in England am Arbeitsplatz war. Das habe die Datums-Kodierung des Videos ergeben. Redgrave erneuerte die Forderung, dass Europäische Anti-Folter-Konventionen nicht untergraben werden dürften. Es sei ein Skandal, dass England unter Folter erzwungene Geständnisse gelten lassen wolle, sofern kein Brite am Vorgang beteiligt war. ede

*Bericht der Briten über Guantanamohaft unter www.ccr-ny.org