Der Student, das seltene Wesen

Die OECD hat ihre Bildungsstudien zusammengefasst und kommt zu einem wenig schmeichelhaften Ergebnis: Deutschland fällt beim Akademikeranteil zurück – der wichtigsten Kennziffer für Wissensgesellschaften. Denn zu wenig Schüler machen Abitur

In Finnland oder Australien haben über 40 Prozent einen Hochschulabschluss

VON CHRISTIAN FÜLLER

Karin Wolff (CDU) war erregt. Es sei eine Dreistigkeit, schimpfte die Kultusministerin aus Hessen. „Wir brauchen kein Zeugnis von außen“, wetterte die Vizepräsidentin der deutschen Kultusminister. Und dann legte sie einen Satz nach, der zeigte, dass getroffene Hunde bellen. Frau Wolff warf nämlich ausgerechnet dem Pisa-Experten Andreas Schleicher vor, seine Kritik sei „von Sachkenntnis nicht getrübt“.

Dabei gilt Andreas Schleicher als der bestinformierte Bildungsmann weltweit – schließlich koordiniert der Deutsche alle Bildungsstudien bei der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) in Paris. Und dieser Mister Pisa hat nun ein vernichtendes Urteil über die Entwicklungsfähigkeit der deutschen Schule gefällt: „Deutschland fällt beim Um- und Ausbau der Bildungssysteme weiter zurück und droht den Anschluss zu verlieren“, sagt Schleicher. Dies ergebe sich aus der Studie „Bildung auf einen Blick“, die die OECD heute in Berlin zusammen mit Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) und dem anderen Vizepräsidenten der Kultusministerkonferenz Steffen Reiche (SPD) präsentiert.

Nach Informationen der taz liegt der 40-jährige Schleicher nicht so falsch. Zwar enthält der Bericht keine fürchterlich neuen Daten, aber in der Zusammenschau und der Entwicklung seit der Pisa-Studie stehen die Bildungssysteme nicht gut da – Deutschland stagniert.

Einen ersten Hochschulabschluss etwa erzielen in den OECD-Ländern im Schnitt 32 Prozent der Bevölkerung. „Die Zahl jedoch“, so heißt es nach Kenntnis der taz in der Zusammenfassung der Studie, „reicht von weniger als 20 Prozent in Deutschland […] bis zu mehr als 40 Prozent in Australien, Finnland, Island und Polen.“ Deutschland ist bei dieser wesentlichen Kenngröße für den künftigen Arbeitsmarkt der so genannten Wissensgesellschaften also weit im Hintertreffen – und eine positive Entwicklung ist nicht absehbar.

Die OECD-Forscher haben nämlich verschiedene Altersgruppen auf ihren Bildungsabschluss verglichen. In fast allen Staaten überschreitet dabei der Anteil der 25- bis 34-Jährigen mit Uni-Diplom jenen der 45- bis 54-Jährigen. In Kanada hat die Hälfte der Jungen ein Hochschulexamen in der Tasche – verglichen zu 40 Prozent der über 40-Jährigen. In Korea geht der Sprung von 13 Prozent (45- bis 54-Jährige mit Diplom) auf über 40 Prozent der heute 25- bis 34-Jährigen. Nicht so in Deutschland. Hier sind die Älteren die Gebildeteren, ein Viertel der Generation der über 45-Jährigen ist Akademiker, bei den zwanzig Jahre jüngeren hat nur noch ein Fünftel Hochschulabschluss. Simpel gesagt heißt das, was die OECD-Bildungsstatistiker herausfinden: Deutschland wird dümmer.

Das Problem ist: Die Deutschen haben mit ihrem Schulsystem so gut wie keine Chance, die Verhältnisse zu ändern. Denn hier erreicht wegen des gegliederten Schulsystems nur ein Schüleranteil von rund 35 Prozent eines Jahrgangs das Abitur.