Die Schornsteine kappen

Ausbau des Rhein-Main-Flughafens: Störfallkommission des Bundes moniert geplante Einflugschneise über Chemiefabrik. Auch EU-Kommission liegt Beschwerde vor

FRANKFURT/M. taz ■ Gestern nahm sich die Störfallkommission der Bundesregierung erneut die Antragsunterlagen an: Die Fraport AG will – inzwischen auch offiziell beim Regierungspräsidenten in Darmstadt beantragt – eine neue Landebahn im Nordwesten des Frankfurter Flughafens bauen. Schon bei einer ersten Sichtung im September war die Kommission über die Chemiefabrik Ticona „gestolpert“. Die gigantische Anlage zur Herstellung von Kunststoffen – unter anderem für die Automobilindustrie – steht nämlich genau in der Einflugschneise der geplanten neuen Landebahn Nordwest.

Für die Flughafenbetreibergesellschaft und die ausbauwillige hessische Landesregierung bislang offenbar nur ein marginales Problem. Die Schornsteine dort müssten vielleicht etwas gekappt werden, hieß es lapidar von offizieller Seite. Und ohnehin liege längst ein Gutachten vor, das auf die „Unwahrscheinlichkeit“ eines Flugzeugabsturzes ausgerechnet über der Chemiefabrik hinweise.

Das alte Spiel mit den Gutachten: Inzwischen gibt es auch eine zweite Expertise, die von einem sehr viel höheren Absturzrisiko ausgeht. Aus den Reihen der Störfallkommission heraus war jedenfalls schon bemängelt worden, dass in dem ersten Gutachten, das den Antragsunterlagen beigefügt wurde, nur die Landeanflüge von Flugzeugen etablierter Airlines mit in die Wahrscheinlichkeitsrechnung für den Absturz einer Maschine eingeflossen seien; nicht aber die Anflüge von vielfach veralteten Maschinen relativ unbekannter Fluggesellschaften aus der Dritten Welt. Gerade Frankfurt Rhein-Main aber werde von sehr vielen Airlines aus aller Welt angeflogen. Im hessischen Wirtschaftsministerium liegen beide Gutachten noch immer unter Verschluss.

Ein Sprecher der Chemiefirma Ticona hat inzwischen erklärt, dass die Schornsteine nicht gekappt werden könnten, denn deren Höhe garantiere eine Produktion nach den geltenden europäischen Umweltschutzbestimmungen. Ohnehin sei es den 1.500 Beschäftigten im Werk nicht zuzumuten, unter den Bedingungen einer Überflughöhe von nur 50 Metern zu arbeiten. Dazu komme dann noch die ständige Angst vor einer „Megakatastrophe“ bei einem Absturz.

Im Frankfurter Stadtparlament haben SPD, Grüne und FAG (Flughafenausbaugegner) jetzt beschlossen, alle rechtlichen Möglichkeiten gegen den Bau der Nordwestbahn auszuschöpfen. Der EU-Kommission liegt inzwischen eine Beschwerde wegen der mutmaßlichen „Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts beim Raumordnungsverfahren zum Flughafenausbau“ vor. Die zuständige Kommissarin Margot Wallström sicherte bereits deren „intensive Prüfung“ zu. Die Störfallkommission will noch in diesem Jahr ein abschließendes Urteil fällen.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

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