Touristen statt Kühe melken

Die Blockländer Bauern suchen nach neuen Einkommensquellen. Ihr Milchvieh bringt Verluste ein – aber alles andere bleibt ein Zubrot. Bald könnten die Städter hier einziehen

Auch ihre Milch kaufen die meisten Menschen am Ende doch lieber bei Aldi

Bremen taz ■ Noch nicht einmal zum Sprechen nimmt er seinen Zigarrenstummel aus dem Mund. Wie es mit der Landwirtschaft im Blockland weitergehen soll? Der alte Bauer mit dem stoppeligen Drei-Tage-Bart und dem grünen Basecap über dem Blaumann stützt sich auf seine Sense, verharrt einen Augenblick. „Das weiß ich auch nicht“, murmelt er und widmet sich wieder dem Grasschnitt.

Ein paar Häuser weiter steht Heike Kaemena vor ihrem Hof, den Reisigbesen in der Hand. Seit 300 Jahren schon lebt ihre Familie hier, drei Generationen unter einem Reetdach. „Wie kostbar das ist, muss man erst einmal begreifen“. Ihr Sohn soll die Landwirtschaft in der neunten Generation übernehmen. „Aber er hat so keine Perspektive.“ 60 Kühe stehen hier im Stall – doch Milchviehwirtschaft ist ein Verlustgeschäft in diesen Tagen. 26 Cent bekommen die Bauern für jeden Liter Milch, der sie selbst fast 30 Cent kostet.

Kurz- und mittelfristig wird sich daran wohl nicht viel ändern, bestätigt der Vorsitzende des Bremer Landwirtschaftsverbands, Hinrich Bavendamm, der im Blockland selbst einen Hof mit 70 Hektar bewirtschaftet. Und schimpft dann auf die „Fehlentscheidungen“ aus Brüssel. „Die Milchpreise fallen auf Weltmarktniveau. Da sind wir nicht konkurrenzfähig“. An Ackerbau aber ist hier draußen nicht zu denken – viel zu nass der Boden.

Aufgeben wollen die Kaemenas deshalb aber noch lange nicht. „Da müssen wir durch“, sagen sie. Dafür werden die Höfe größer, denn für die kleinen ist das Überleben schwierig. Noch hat hier niemand mehr als 110 Kühe im Stall stehen, doch bald könnten es 200 sein, Tendenz steigend. Size does matter. Das aber kostet: Milchquoten wollen bezahlt, Ställe neu gebaut werden.

Anfang der sechziger Jahre gab es hier draußen noch mehr als 50 Betriebe, gerade einmal die Hälfte sind bis heute geblieben. Und die müssen nach Alternativen suchen. Also sind allerlei Ökoprojekte und Heuhotels entstanden. Wo früher nur die Kühe wohnten, sitzen heute die Touristen in Cafés oder kaufen Gemüse frisch aus dem Garten.

„Das Potential ist groß“, schwärmt BUND-Geschäftsführer Martin Rode – und mit ihm der Senat, der kürzlich eine einschlägige Anfrage aus den Reihen von CDU und SPD zu beantworten hatte. Vom „außerordentlichen Naherholungswert“ ist darin die Rede, von „breit gefächerten Möglichkeiten“, von der Erschließung neuer Märkte für Milch und Fleisch.

Spricht man mit den Bauern, hört sich das etwas anders an. Was einst das Markenkennzeichen „Wümmefleisch“ werden sollte, erzählt Ilse Gartelmann, die auf ihrem Gehöft selbst Rindermast betreibt, „ist gescheitert“. Die Vermarktung war zu teuer und am Ende waren nur wenige VerbraucherInnen bereit, der Marke wegen höhere Preise zu zahlen. „Das ist absolut in die Hose gegangen“, sagt Gartelmann.

Auch ihre Milch kaufen die meisten Menschen am Ende doch lieber bei Aldi ein. „Alles andere sind doch Lippenbekenntnisse“, winkt Bauer Bavendamm ab – und wettert gegen die Billig- und Fast-Food-Gesellschaft. Die anderen Bauern stimmen ein.

Und der Tourismus? „Das ist ein Schönwettergeschäft. Davon kann ich nicht leben.“ Gastwirt Gartelmann blinzelt in die Sonne. Im nächsten Moment fahren 30 RadfahrerInnen vor, Gartelmann, selbst ein Bauer, hat zu tun. An kalten und regnerischen Tagen sind indes manchmal nur 50 Euro drin – „Tabakgeld“, wie Bavendamm formuliert.

Ohnehin sind die Blockländer nicht immer gut auf all die RadfahrerInnen und SkaterInnen zu sprechen, die an Tagen wie diesem über sie hereinrollen. Zu viele. Und noch mehr Autos? Wollen sie schon gar nicht. Da sind sie sich mit dem Senat einig.

Auch für die Kaemenas sind ihre sechs Ferienwohnungen nicht mehr als ein Zubrot, das hilft, den Hof instandzuhalten. Ohne das würden all die Gebäude verfallen, sagt Heike Kaemena. Oder die zivilisationsgeschädigten Städter kauften sich hier ein. Die Nachfrage ist groß, die Höfe sind begehrt.

Ihr Geld müssten die Blockland-Bauern weiterhin in der Landwirtschaft verdienen, ist auch Martin Rode überzeugt. Und mit Subventionen für Naturschutz und Landschaftspflege, mit Nischenprodukten für Taschengeld. „Aber die Suppe wird für alle dünner“, warnt Bavendamm. Denn auch die Nischen sind nicht so groß, dass alle Blockländer Bauern darin Platz finden würden. „Wieviel Hofläden wollt ihr hier in Wummensiede mit seinen neun Höfen denn haben?“ Jan Zier