Simbabwes großer Treck

Millionen Menschen sind in den letzten Jahren aus dem Krisenland Simbabwe ausgewandert. Ihr Wegzug trägt weiter zum Niedergang des Landes bei

„Es ist einfach unglaublich, was es alles nicht mehr zu kaufen gibt“

aus Harare GODFREY KARORO

Die vier gehören schon fast zum Mobiliar. Drei Ärzte und ein Computerspezialist treffen sich regelmäßig in dem exklusiven Club in einer Vorstadt von Harare, jeden Abend gegen halb acht. Es gibt dort zwar nichts zu tun, keinen Billiardtisch, kein Dartboard. Man kommt einfach zum Reden. Über Politik und die schlechte Wirtschaftslage. Und über Sport. Besonders Golf.

Die vier haben etwas gemeinsam: Sie leben allein. Ihre Frauen und Kinder sind weggezogen aus Simbabwe. Die Geldverdiener blieben zurück und sind einsam.

Simbabwe entvölkert sich. Die Volkszählung von 2002 ermittelte 10,6 Millionen Einwohner. Vorher lag die amtliche Schätzung, aufgrund der demografischen Entwicklung ermittelt, bei 14 Millionen. Aids hat hunderttausende Todesopfer gefordert – gegenwärtig 2.500 pro Woche –, aber darüber hinaus sind mehrere Millionen Menschen einfach verschwunden.

Amtlichen Angaben zufolge leben 479.348 Simbabwer mit abgeschlossener Berufsausbildung – also die Elite unter den Emigranten – im Ausland. 176.000 sind in Großbritannien, 33.000 in den USA, 16.000 in Kanada. Das Nachbarland Botswana hat 165.000 aufgenommen, Südafrika 22.050. Die wirkliche Zahl der Auswanderer, vor allem in Südafrika, ist viel höher. Südafrika und Botswana deportieren jeden Monat tausende von Simbabwern, die illegal eingereist sind.

In Simbabwes Gesundheitswesen arbeiten inzwischen immer mehr Ärzte aus Kuba und der Demokratischen Republik Kongo und Krankenpfleger aus Tansania. Ein Drittel der ausgebildeten einheimischen Krankenpfleger hat Simbabwe in den letzten drei Jahren verlassen. Lehrer, Computerprogrammierer, Handwerker, Piloten und Journalisten sind die anderen bevorzugten Emigrantenberufe. Eine Studie des „Scientific and Industrial Research and Development Centre“ (SIRDC) befand kürzlich: „Niveau und Trend des Brain-Drain haben in den letzten Jahren Höhen erreicht, die die nachhaltige Entwicklung des Landes ernsthaft gefährden.“

Die Auswanderer sind mehrheitlich Jugendliche und Frauen. „Etablierte Leute im mittleren Alter tun sich schwer damit, das Land zu verlassen“, berichtet ein Orthopäde, Besitzer einer Spezialklinik. „Viele haben schöne Häuser und leiten Unternehmen, und sie können das nicht alles für eine ungewisse Zukunft in der Fremde aufgeben.“

Krankenpflegerinnen, Therapeutinnen, Apothekerinnen und Lehrerinnen sind mobiler als ihre männlichen Kollegen. Die Frauen wandern aus, um Geld zu verdienen, mit dem dann die Kinder zur Ausbildung in die USA, nach Großbritannien oder Australien geschickt werden können.

Simbabwes Niedergang lässt den Emigrantinnen kaum eine andere Wahl. Eine nach Großbritannien ausgewanderte Unternehmerin im Gebrauchtwagengeschäft staunt nach zwei Wochen Heimaturlaub: „Es ist einfach unglaublich, was es alles nicht mehr zu kaufen gibt. Das habe ich noch nicht erlebt.“

In Simbabwe gibt es kaum noch Brot oder Benzin, und sogar Geldscheine sind knapp geworden. Die meisten Preise sind in den letzten Monaten um über 500 Prozent gestiegen. Die überwiegende Mehrzahl der Leute lebt nur noch von einer Mahlzeit am Tag. Die UNO schätzt, dass über die Hälfte der Bevölkerung dieses Jahr auf Lebensmittelhilfe angewiesen sein wird.

Unter diesen Bedingungen kehrt nicht nur die wirtschaftliche Elite Simbabwe den Rücken. Auch einfache Bürger versuchen jeden Tag, das Land zu verlassen. Manche verkaufen ihre Häuser und kaufen sich mit dem Erlös Flugtickets nach London, wo sie in der Schattenwirtschaft untertauchen. Andere schwimmen über den krokodilreichen Limpopo-Fluss nach Südafrika und trecken durch den Busch nach Botswana, auf der Suche selbst nach der einfachsten Tagelöhnerarbeit. Dann haben sie immerhin ein regelmäßiges Einkommen und können Geld an die zurückgebliebene Familie schicken.

Die Illegalen sitzen fest. Eddie Moshu, der seit 1999 illegal in Großbritannien lebt, berichtet am Telefon: „Ich kann nicht mehr nach Simbabwe kommen. Dann könnte ich ja nicht mehr nach Großbritannien fahren.“ Viele von ihnen erleben aus der Entfernung, wie zu Hause Angehörige sterben. Sie schicken dann Kränze oder Geld für einen Luxussarg. Manche, die sich doch wieder nach Simbabwe zurücktrauen, reisen unter falschem Namen und besorgen sich gefälschte Geburtsurkunden und Personalausweise, um auf den falschen Namen einen echten neuen Pass zu kriegen. Das ist sehr teuer, denn viele Leute müssen dafür geschmiert werden.

Doch nach Angaben der Internationalen Migrationsorganisation (IOM) wollen die meisten Auswanderer sowieso nicht zurück. Die IOM hat in Simbabwe ein Rückkehrerprogramm eingerichtet, von internationalen Geldgebern finanziert, das in Zielländern der Emigranten für Jobs in Simbabwe wirbt und Gehaltszuschläge anbietet, wenn die Leute sich für drei Jahre zur Rückkehr verpflichten. „Aber das letzte Mal, dass jemand unter diesem Programm nach Simbabwe zurückkehrte, war 1998“, sagt ein IOM-Mitarbeiter in Harare. 2001 wurde das Programm suspendiert.

„Sicher, die meisten Leute fliehen vor dem Wirtschaftskollaps“, sagt ein Anwalt, der sich überlegt, auszuwandern. „Aber nötig wäre die Lösung der politischen Probleme, die an der Wurzel aller anderen Probleme liegen. Das wird aber nicht passieren, denn die herrschende Schicht hat Angst vor Prozessen wegen Korruption, Wirtschaftssabotage, Ausplünderung und Menschenrechtsverletzungen. Also werden sie so lange wie möglich an der Macht kleben. Ich muss meinen Kindern aber jetzt eine bessere Zukunft bieten. Ich schließe mich dem großen Treck an.“